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Zeitschrift für christliche Kunst — 5.1892

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Schlie, Friedrich: Reliquienkästchen von Elfenbein im Museum zu Schwerin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4357#0243

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373

1892.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

374

Reliquienkästchen

as umseitig abgebildete Elfenbein-
kästchen romanischen Stils gehört
den Grofsherzoglichen Kunstsamm-
lungen erst seit dem Jahre 1818 an.
Es stammt aus dem Nachlafs des letzten Kur-
fürsten Maximilian von Köln, welcher ein Sohn
Kaiser Franz I. war, 1784 den erzbischöflichen
Stuhl zu Köln bestieg, 1794 durch die Fran-
zosen aus Bonn vertrieben wurde, sich nach
Oesterreich wandte und den 26. Juli 1801 zu
Hetzendorf bei Wien verschied. Den Kunst-
wann? und wie?

nachlafs desselben erwarb

ist hier nicht näher bekannt — der Königlich
Sächsische Münzmeister Engel, und dieser ver-
äufserte denselben im Jahre 1818 an den Grofs-
herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-
Schwerin.1) Das genannte Kästchen, das auf S. 6
des Verzeichnisses der Sammlung aufgeführt ist,2)
ist 1.85 mm lang, 125 mm breit und 30 nun hoch.
Mit Ausnahme des reliefirten Schiebedeckels
(Fig. 1) und der einfachen Plättchen, welche die
inneren sechs Fächer (Fig. 2) schliefsen, und
an denen theilweise noch die vergilbten alten
Seidenbändchen sitzen, mit denen sie abgehoben
wurden, ist das Ganze in augenscheinlich be-
absichtigter mühevoller Weise aus einem Stück
gearbeitet, aber nicht zu einem weltlichen Zweck,
wie ihn der Schreiber des Verzeichnisses nennt
und der ihm leichthin in die Feder gekommen
zu sein scheint, weil unter den vorhergehenden
Nummern mehrere chinesische Kästchen von
Elfenbein mit Spielmarken aufgeführt sind, son-
dern gewifs nur zu einem Zwecke, bei dem
es sich um die Ehre Gottes und der Kirche
handelte. Wir werden daher nicht fehlgehen,
wenn wir dies Kästchen für ein Reliquiarium
erklären. Kästchen dieser Art kommen ja öfter
vor. Man vergleiche nur zwei der Würzburger
Dom-Reliquiarien, welche in dem Prachtwerk

von Elfenbein im Museum zu Schwerin.

Mit 2 Abbildungen.

von Hefner-Alteneck «Kunstwerke und Geräth-
schaften des Mittelalters und der Renaissance«
Bd. I, Taf. 52 u. 71, abgebildet sind. Auch der
Reliefschmuck des Deckels und der Langseiten
des Kästchens deutet auf den eben genannten
Zweck. Aus einem Henkelkelch, dessen uralte
Form die Beschreibung im Buch des Presbyter
Theophilus III, 30: „De fundendis auriculis
calicis" in die Erinnerung ruft, wenngleich es
sich dort um Metall- und Gebrauchskelche und
nicht um Dekorationsbilder handelt, spriefst in
romanischer Stilisirung ein Weinstock mit Reben,
Blättern und Trauben empor. Oben in der Spitze
desselben picken zwei taubenartig gebildete,
einander gegenübergestellte Vögel an den
Früchten des Stammes. Unter ihnen erscheinen
in Rebenwindungen Hase und Hund (oder
Fuchs?), beide mit ihren Mäulern nach rechts
hin die Rebe berührend. Ihnen folgen, weiter
nach unten, in ähnlicher Anordnung, zwei grö-
fsere, gleichfalls taubenförmig gebildete, wie-
der einander gegenübergestellte Vögel, welche
mit ihren Schnäbeln an den Ansätzen junger
Rebenschöfslinge picken. Ganz unten finden wir
endlich einen Löwen und eine Hindin, beide
nach links gewandt. Derselbe Gedanke, nämlich
das Streben der Kreatur nach dem Saft der
Rebe und der Traube, ist auf den beiden Lang-
seiten des Kästchens versinnbildlicht; auf der
einen picken zwei einander gegenübergestellte
Tauben an einer Traube, und Hund und Hase
streben einer anderen Traube zu; auf der andern
Seite finden wir sechs Thiere derselben ver-
schiedenen Gattungen, welche, immer zu zweien
gegenübergestellt, sich an den gleichen Früchten
nähren. Man sieht, es bedarf keines weiteren
Eingehens auf die mittelalterliche Thiersymbolik,
auch keiner umständlich und weitschweifig her-
beigeholten Deutung, um diese Darstellung so-

1) Vgl. »Freimüthiges Abendblatt« vom 27. März
1S18, Nr. 12, S. 97 ff. (Schweriner Ztg.) und »Kunst-
gewerbeblatt« IV, S. 152.

2) Das von Engel Ubergebene Verzeichnifs lautet:
„Verzeichnifs einer Sammlung von Kunstsachen vor-
züglichen Werlhes und Alterthümern. Aus dem Nach-
lasse Sr. Durchlaucht des Churfitrslen Maximilian zu
Cöln". Auf der 6. Seite, am Schlufs der V. Abtheilung,
welche die elfenbeinernen Werke der Sammlung um-
fafst, ist unser Kästchen mit folgenden Worten be-
schrieben: „Einer (nämlich Kasten, wie die vorher-

gehenden) von sehr alten Schroth und Korn, trägt
das Gepräge einer sehr altdeutschen Arbeit an sich,
und besteht aus einem über alle Mafsen grofsen Stuck
massiven Elfenbein. Die äufsere Verzierung besteht
aus Vögeln, Laubwerk und verschiedenen Thieren, die
innere Konstruktion enthält sechs Kästchen oder ver-
tiefte Fächer mit Deckeln, vermuthlich Spielmarken oder
sonst etwas der Art hineinzulegen, aber alles aus dem
massiven Elfenbein gearbeitet, und eigentlich eine Her-
kules-Arbeit." Es wurde im Jahre 1818 auf 20 Thaler
gewerthet. Wie hoch möchte es heute wohl kommen?
 
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