Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Keppler, Paul Wilhelm von: Neuentdeckte vorromanische Wandmalereien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0014

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1S93. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

können, welches ein überraschendes Schlaglicht
in die bisher völlig dunkel gebliebene Zwischen-
periode und auf die Weiterentwickelung der
Reichenauer Malerschule wirft. Letzteres ist um
so willkommener, als eben der Historiograph
der Reichenauer Schule, Hofrath F. X. Kraus in
Freiburg, den höchst interessanten Nachweis
erbracht hat, dafs dieselbe ein Ableger der Schule
von Monte-Cassino ist, welche das Gerichtsbild
in St. Angelo bei Capua schuf (»Jahrb. der
königl. preuss. Kunstsamml.« 1892).

Nahe der auf riesigem Felsklotz thronenden,
von der Natur selbst bis zur Unbezwingbarkeit
bewehrten Veste, jetzt Ruine Schalksburg, einem
alten Zollernbesitz, liegt auf weitem Bergplateau
das unansehnliche Dörfchen Burgfelden, von der
Station Lautlingen und Laufen (Linie Tübingen-
Sigmaringen) in einer starken Stunde erreichbar.
Seine dem hl. Michael geweihte Kirche war einst
Mutterkirche einer weitern Umgebung. Sie ge-
hört dem frühesten romanischen Stil an, zeigt
einfachste Anlage und schlichte Formen, aber
eine für die damalige Zeit auffallend solide und
schöne Mauertechnik. Einschiffig, ohne Wöl-
bung, ermangelt sie des Chores ganz, hat aber
einen östlich vorgelegten Thurm mit gekuppelten
Schallarkaden nach allen vier Seiten in zwei
Stockwerken. Ein später seinen Mauern auf-
geladener, unsinnig schwerer Dachstuhl war die
Ursache, dafs der Bau nach beiden Seiten aus-
wich und Ost- und Westwand bedeutende Risse
erhielten. Eben als man das Ganze niederlegen
wollte, kamen die Malereien des Innern zum
Vorschein, welche den Landes-Konservator Dr.
Paulus bestimmten, alsbald dem Abbruch Ein-
halt zu gebieten, den Bau für den Staat zu er-
werben und mit einem Nothdach zu versehen.
Die Malereien ziehen sich in breitem, oben
mit einem Mäander, unten durch einfache Bor-
düre eingegrenztem Streifen über die oberste
Fläche der Ost-, Nord- und Südwand hin. Das
Hauptbild schmückt die Ostwand: Die Dar-
stellung des jüngsten Gerichts, mit vielen
Anklängen an das Reichenauer Gerichtsbild, aber
auch mit charakteristischen Verschiedenheiten;
dort wie hier Christus mit dem altchristlichen
Typus in der Mandorla, dort wie hier das Kreuz
von Engeln gehalten, nur in Burgfelden vor dem
Richter, bezw. auf seine Gestalt aufgezeichnet;
dort wie hier unterhalb die Auferstehung der
Todten auf den Posaunenruf der Engel. Aber in
Burgfelden fehlt der feierliche Chor der Apostel

als Gerichtsbeisitzer, auch die fürbittende Mutter;
dafür bereits die Schilderung des Vollzugs des
Richterspruchs: die Geleitung der Seligen ins
himmlische Jerusalem, die Abführung der Ver-
dammten in die Höllenstadt; die letztere Epi-
sode mit besonderer Kraft und Tragik geschil-
dert. Auf der Nordwand folgt ein grofses Christo-
phorusbild, in gothischer Zeit über die alte Ma-
lerei gemalt; dann nach einer fast ganz zerstörten
Komposition der Apostelchor, in ein Gestühl
eingeordnet, vom Maler hier untergebracht, weil
ins Gerichtsbild nicht aufgenommen; hierauf eine
geschichtliche Erzählung in zwei Akten, ohne
Zweifel die Darstellung der Parabel vom
barmherzigen Samaritan, in einen Wald mit
streng stilisirten Bäumen und einem Hirschlein
als Staffage verlegt. Gegenüber auf der Süd-
wand in zwei (oder vielleicht ursprünglich drei)
Episoden die Parabel vom reichen Prasser,
dessen üppiges Gelage und jammervolles Ende
(ein Teufel reifst ihm mit dem Schürhaken die
Seele aus der Brust); hierauf apokalyptische
Darstellungen: St. Michael stürzt den Drachen,
auf einem Berge steht das Lamm (Offenb. 12,
7 ff.; 20, 1 ff., in Verbindung mit 12,11; 1-1, 1);
Kampfesszenen, welche wohl in Offenb. 12, 17;
13, 7 ihre Erklärung finden. Trotzdem nicht mehr
der ganze Cyklus lückenlos erhalten ist, läfst
sich doch aus dem Vorhandenen auf Eine grofse
einigende Idee schliefsen, wie denn der innere
Zusammenhang zwischen dem Gerichtsbild, dem
Apostelchor, den eschatologischen Darstellungen
und den Parabelbildern nicht zu verkennen ist.
Ikonographisch erscheint nicht nur das Gerichts-
bild gegen das von Reichenau in höchst be-
achtenswerter Weise erweitert und fortgebildet,
sondern auch der Darstellungskreis der Wand-
malerei durch Aufnahme der Parabelbilder und
besonders der Kampfesszenen bereichert.

Die Verwandtschaft der Burgfeldener Male-
reien mit denen von Reichenau ist so unver-
kennbar und erstreckt sich auf so viele Einzeln-
heiten der Auffassung, Stilgebung und Technik,
dafs man unbedenklich auch die ersteren der
Reichenauer Malerschule zutheilen wird.

Insbesondere Eine koloristische Eigenheit
findet sich in gleicher Weise auf dem Gerichts-
bild und den übrigen Bildern in Burgfelden:
der ganze Hintergrund ist in mehrere horizon-
tale, parallel laufende Farbenzonen abgetheilt,
wodurch derselbe belebt und die Farbenwirkung
des Bildes gehoben wird.
 
Annotationen