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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 4
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Schnütgen, Alexander: Zwei durchbrochene Elfenbeintafeln aus dem Anfang des XV. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0064

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Abhandlungen.

Zwei durchbrochene Elfen-
intafeln aus dem Anfang
des XV. Jahrh.

Mit Lichtdruck (Tafel IV).

eide hier abgebildete Tafeln
sind vor Kurzem auf der
Auktion Spitzer in Paris
durch die Gebr. Bourgeois
angesteigert worden und sofort in die Sammlung
des Barons Albert von Oppenheim übergegangen.
Sie behaupteten unter den 174 Nummern der
ganz auserlesenen, fast nur aus Perlen bestehen-
den Elfenbein-Abtheilung in Bezug auf Reich-
thum der Darstellungen und Feinheit der Aus-
führung eine der ersten Stellen und figurirten
in dem Auktionskatalog unter Nr. 147 und 148.
Die dort der kurzen Beschreibung beigefügte An-
gabe, dafs sie italienischen Ursprungs seien, dürfte
jedoch zu beanstanden und für sie trotz der
stellenweise etwas abgeschwächten, weil in's De-
korative übersetzten Architekturformen die Ent-
stehung in Frankreich anzunehmen sein, und zwar
im Beginn des XV. Jahrh. Ursprünglich werden
sie wohl, je von einem Rähmchen umgeben, ein
Diptychon gebildet haben und als solches dürfte
es an Fülle der Figuren und Darstellungen wie
an Mannigfaltigkeit der sie einfassenden Archi-
tektur nicht leicht von einem anderen über-
troffen werden. Bei einer Höhe von 18 cm, einer
Breite von 12 cm umfafst die eine Tafel 42, die
andere gar G2 Figürchen, die theils einzeln, theils
gruppenweise nischenartig gefafst und von Bal-
dachinchen bekrönt sind. Diese zeigen sowohl
in der Gesammtanordnung, wie in der Einzel-
behandlung eine geradezu bewunderungswürdige
Abwechselung und Zierlichkeit, ein Spielen mit
den architektonischen Formen und Gliedern,
wie es aufser dem Bux nur das Elfenbein ge-
stattet. Auf der einen Tafel sind die Darstel-
lungen ausschliefslich dem Leben des Heilandes
entnommen, auf der anderen dem der Gottes-
mutter. Hier erscheinen in der unteren Zone
nebeneinander die Verkündigung, Geburt und
Anbetung der drei Könige, in der folgenden die
Botschaft an die Hirten, der Tod der Gottes-
mutter, die Opferung im Tempel, in der obersten

die Aufnahme in den Himmel, die Krönung und
der Empfang ihrer Seele durch Gottvater. Auf
der andern Tafel, bei der die horizontale Gliede-
rung vier Reihen bildet, sind unten die Kreuz-
tragung, Geifselung, der Abstieg zur Hölle, dar-
über die Kreuzabnahme, Kreuzigung, Grablegung,
darüber die Gefangennehmung, die Oelbergs-
szene, die Auferstehung, zuoberst die Dreifaltig-
keit, der Weltrichter, St. Michael mit der Seelen-
waage dargestellt. Dafs bei diesen Darstellungen
die biblische Reihenfolge nicht überall bei-
behalten wurde, ist wohl durch die architek-
tonische Eintheilung verursacht worden, welche
die übereinandergeordneten Mittelszenen durch
ein aus Nischen bestehendes Strebesystem seitlich
abgrenzte und die darin untergebrachten Einzel-
figürchen in jene Szenen hineinziehen mufste.
Ein ungemein reiches ikonographisches Ma-
terial ist in diesen beiden kleinen Tafeln ver-
arbeitet und zwar nicht, wie dieses bei den
zahlreichen, zumeist in Frankreich entstandenen,
Elfenbein-Diptychen und Triptychen des XIV.
und XV. Jahrh. die Regel ist, in schematischer
Weise, sondern in eigenartiger Anordnung, wie
die ganz aufsergewöhnlich reiche und kompli-
zirteArchitekturbehandlung sie erforderte. Aufser-
dem aber zeichnet diese beidenReliefs die höchste
Subtilität der Ausführung aus, wie sie in diesem
Grade sonst nur den Buxschnitzereien eigen-
thümlich ist. Diese Kleinheit der Figuren hat
für diese, zumal wenn sie einzeln erscheinen,
hier und da den Mangel streng stilisirter Linien-
führung, namentlich jenes Rhythmus in der Be-
wegung zur Folge, der den gröfseren Figürchen
fast niemals fehlt. Fast ganz unberührt bleibt
davon im vorliegenden Fall derGesichtsausdruck,
der auch noch bei den kleinsten Gebilden ein
ganz charakteristischer ist. Bis zu welchem Maafse
aber die Charakterisiruns einzelner Figuren hier
gelungen ist, mögen namentlich die Gestalten der
hl. Magdalena in der Grablegungsszene, sowie
unmittelbar darüber der schlafenden Wächter bei
der Auferstehung beweisen. Die Durchbrechung
des Grundes erschwerte natürlich die Aufgabe
des Meisters, bei dem künstlerische Empfindung
und technisches Können in hohem Grade sich
vereinigten. Schnütgen.
 
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