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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Firmenich-Richartz, Eduard: Die Flügelgemälde des Essener Altares
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0151

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229

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

230

Auf der zweiten Darstellung betrachtet Maria
im Kreise ihrer Getreuen mit Johannes das
schmerzvolle Antlitz des verstorbenen Heilan-
des. Magdalena küfst weinend die herabhän-
gende Hand des Leichnams. Der abgezehrte
Leib Christi in der Todesstarre ist überaus ener-
gisch modellirt; in dem ausdrucksvollen Antlitz
der hl. Jungfrau schildert der Maler das stumme,
erhabene Leid der Gottesmutter, die aus den
geliebten Zügen des Sohnes die Gröfse des
vollbrachten Erlösungswerkes ermifst. In den
Mienen der Umstehenden wird der Ausdruck
der Trauer in mannigfachster Weise variirt.

Dem Charakter dieser Darstellungen ent-
spricht auch die malerische Behandlung der
Bilder. Die Farben erscheinen kräftig, körperlich.
Besonders wirksam sind die verschiedenen rothen
Töne, welche der Meister nebeneinander setzt.

Auf den Innenseiten der Flügel sehen wir
rechts „die Anbetung der hl. Dreikönige",
eine etwas zerstreute Komposition, aber ein Bild
voll würdiger, gehaltvoller Köpfe, namentlich
auch im Gefolge der Magier, dem der Künstler
einige zeitgenössische Bildnisse beigesellt zu
haben scheint. Die Madonna und das Christ-
kind finden sich fast unverändert auf dem
etwa gleichzeitigen Votivbilde des Herzogs
von Cleve wieder (Berliner Galerie Nr. 639).
Im phantastischen Pomp des ganzen Aufzuges,
dem üppigen Ornament und der leuchtenden
Landschaft spricht sich der Geist der vlämi-
schen Renaissance besonders prächtig aus. —
Den linken Flügel nimmt „die Geburt Christi"
ein. Maria betet das göttliche Kind an, von
dem ein Lichtschimmer ausgeht; Joseph tritt
soeben staunend mit der Kerze heran. Um die
Krippe aber hat sich eine Schaar Engelknaben
zu einem himmlischen Orchester versammelt,
mit Instrumenten schweben noch andere auf
buntschillernden Fittichen herbei. (Reminis-
cenzen des Künstlers 'aus seiner früheren Dar-
stellung desselben Gegenstandes für Peter van
Clapis gemalt. Berlin, Samml. von Kaufmann.)
Im Hintergrund der festlichen Halle kommen
die Hirten zur Anbetung; in der Ferne der
Landschaft bringt ihnen ein Engel die frohe
Botschaft. Das Porträt der Stifterin hat der
Meister links beigefügt, vor ihr auf der Stein-
brüstung ihr Wappen. Beide Gemälde sind
datirt. Bei der „Anbetung der Könige" findet

sich die Jahreszahl 1525 auf einer Tafel in
der rechten unteren Ecke, auf der „Geburt
Christi" steht 1(5)24 (4-undeutlich) am Pfeiler
über dem Haupte der Donatorin.

Die Schöpfungen Barthel Bruyn's erfreuen
uns durch ein leuchtendes warmes Kolorit,
holdselige Frauen- und Kinderköpfe. Die
Gesichter sind von rundlicher Form. Die
Augen stehen etwas schief und liegen nur
unmerklich tiefer als die hohe Stirn, welche
am unteren Rande von den schön geschwun-
genen Linien der hohen Augenbrauen begrenzt
wird. Die Lider sind kräftig entwickelt, der
lachende Mund mit vollen geschwungenen
Lippen ist manchmal ein wenig geöffnet. Das
Inkarnat ist frisch, etwas graurosig. Braunes
oder röthliches Lockenhaar umwallt das lieb-
liche Oval des Antlitzes.

Das Gewand ist oft streifig langgezogen
und wird von reichen röhrenartigen Falten-
wulsten vielfach gebrochen.

Den Hintergrund füllen romantische Ge-
birgslandschaften mit blauen Fernen, Burgen
und Städten in engen Flufsthälern.

Das Essener Altarwerk bezeichnet den Höhe-
punkt im Entwickelungsgang des jugendlichen
Malers, in diesen Arbeiten konzentrirt der
reifende Künstler alle Kräfte, um zu voller Be-
herrschung der Form und Technik zu gelangen
Ein Antwerpener Maler, Joost van Cleve,
der sogenannte Meister des Todes Maria, hatte
ihm bisher die Wege gewiesen. Ihm verdankt
Bruyn das frische blühende Kolorit, die zarte
durchsichtige Behandlung seiner Jugendwerke;
manche seiner Kompositionen z. B. unser Cruci-
fixus und Epiphanien klingen sogar direkt an
Schöpfungen dieses Meisters an.

Gegen Ende der zwanziger Jahre folgt
Barthel Bruyn dann einer Geschmacksrichtung,
die ihn wie die ganze niederländische Schule
ihren eigentlichen Zielen entfremdet. Rafael
und Michel Angelo galten von nun an als die
strahlenden Vorbilder. Bruyn, der die römische
Kunst überhaupt nur aus zweiter Hand kennen
lernte, büfste bei dieser Stilwandlung den besten
Theil seiner Kunst, die Ursprünglichkeit, ein; nur
im Bildnifs, in dem sich der Meister ohne Ver-
mittler der Natur gegenüber sah, errangen auch
seine späteren Arbeiten bleibende Bedeutung.
Bonn. E. Firmenich-Richartz.
 
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