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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schroers, Heinrich: Die kirchlichen Baustile im LIchte der allgemeinen Kulturentwickelung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0065

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91

189G — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 3.

92

Kuppel gleitet das Auge in weichen Schwin-
gungen an den Zwickeln und Halbkuppeln herab;
wo die gerade Linie unvermeidlich ist, wie in
den Oeffnungen der Seitenschiffe zum Mittel-
raume hin oder an den Umfassungsmauern, er-
scheint sie thtinlichst gebrochen durch die
Säulenstellungen und scharf gebogenen Archi-
volten oder durch überreichlich angebrachte
Fenster mit ihren breiten Bogenschlüssen. Der
Kreis hat aber trotz aller mathematischen Folge-
richtigkeit, die ihm innewohnt, etwas Weiches
und Einschmeichelndes an sich und entspricht
daher der eben so biegsamen und unterwürfigen
wie den Sinneneindrücken leicht zugänglichen
Natur des Morgenländers. Der Kreis trägt auch
ungeachtet seiner stetigen inneren Bewegung etwas
von ruhiger Vollendung an sich, was nach seiner
psychologischen Wirkung in dem träumerischen
Sinnen und dem thatenlosen Insichgekehrtsein
des Orientes sich wiederfindet. Welchen Gegen-
satz dazu bildet die eine rücksichtslose Kon-
sequenz und ein unaufhaltsames Weiterdringen
offenbarende gerade Linienführung, die sich bei
der Basilika in der Längen- und Breitenrichtung,
in der Höhenentwickelung der Schiffe und ihrem
Deckenschlufs zeigt. Sie ist das Symbol der klar
berechnenden und unbeugsam auf grofse Ziele
gerichteten Natur des Römerthums, auch des
kirchlichen Römerthums.

Ein weiterer Gegensatz spricht sich in den
Höhenverhältnifsen aus. Wir meinen hierbei
nicht sosehr den Umstand, dafs der Rundbau
meistens höher ist als das Mittelschiff der Ba-
silika, obschon auch dies für die Weltanschau-
ung, von der beide Stilarten geheim durchweht
sind, bezeichnend ist, sondern wir meinen die
architektonische Behandlung des Oberbaues. Sie
ist bei der Basilika von nüchterner Einfachheit
und auf das praktisch Nothwendige beschränkt;
nackt und massig steigen die Wände auf, nur
mit den unentbehrlichsten Lichtöffnungen ver-
sehen, und darüber legt sich das phantasielose
Gebälk der Decken, die Beleuchtung ernst
dämpfend und die harte Wirklichkeit des Lebens
sinnbildlich ausprägend. Auf der anderen Seite
entwickelt sich der Rundbau nach oben hin zu
einer lichten, durchgeistigten Wirkung. Spielend
sind die Wände durch die luftigen Emporen
und die dicht aneinander gereihten Fenster auf-
gelöst; sie werden umrahmt durch die weiten
und trotz ihrer tragenden Aufgabe leicht ge-
spannten Gurte, welche die Kuppel stützen;

diese selbst thront darüber in majestätischer
Gröfse und den Eindruck mühelosen Ruhens
erweckend und umschliefst einen wahren Glorien-
schein von hereingeströmten Licht. Der Abstand
ist grofs, doch nicht gröfser als der zwischen
dem theologischen Genius der morgenländischen
und abendländischen Kirche. Wenn man von
Augustinus absieht, dessen einzigartige Gröfse
ihn über jeden Vergleich hinaushebt und ihm
eine singulare Stellung anweist, so wendet sich
die Theologie des Westens den praktischen
Problemen des kirchlichen Lebens, den Fragen
der sittlichen und rechtlichen Ordnung zu, die
Theologie des Ostens dagegen der religiösen
Metaphysik und den dogmatischen Unter-
suchungen. Getreu seinen alten Vorzügen er-
hebt sich der griechische Geist auf den Flügeln
des philosophischen Denkens zu den Höhen
der Spekulation. Aehnlich zieht die im Scheitel-
punkte der Kuppel kühn zusammenschwingende
Gliederung die Seelen aufwärts, aber nicht in
unbestimmte, verschwimmende Fernen, sondern
zu dem bestimmten Linienflufse der Kuppel
und Halbkuppeln, welche die Lichtfülle fest
umgrenzen und über dem Gebäude zu schweben
scheinen wie der sinnende Verstand über den
tiefen Räthseln kirchlicher Wissenschaft. Die
blendende Klarheit, die wie Aetherwellen durch
die obern Räume wogt, ist gemildert und ge-
dämpft durch die Engel- und Heiligendarstel-
lungen des Mosaik, deren hagere, ascetische
Gestalten mit ihren leblosen Gesichtszügen und
den weitgeöffneten, wie in visionäres Schauen
verlorenen Blicken das Element träumerischer
Mystik hinzufügen, der Mystik, die auch ein
Erzeugnifs der Verbindung des griechischen mit
dem orientalischen Geiste ist, während sie der
lateinischen Kirche des Alterthums abgeht.
Nimmt man dazu die gesuchte und üppige
Pracht, die über das ganze Innere ausgebreitet
ist und die sich zeigt in dem Wechsel der kost-
barsten farbigen Marmorarten an den Säulen und
den Inkrustationen der Wände, dem wundersamen
Schimmer des Goldgrundes der Mosaiken und
dem Zauber des reichlich verwendeten Edel-
metalls, so fühlt man in voller Stärke auch
das rein orientalische Kulturmoment.

Bei der Basilika haben wir darauf hinge-
wiesen, wie die Apsis der ästhetische Brenn-
punkt der gesammten architektonischen Anlage
ist, ganz im Einklänge damit, dafs hier auch
die Opferstätte sich findet, von der aus der
 
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