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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schnütgen, Alexander: Romanischer Bronzeleuchter in Form eines Löwenreiters
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0079

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113

1896.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 4.

114

Thierleuchter selbst als Altarschmuck beliebt
waren, wie ein solcher in Form eines Löwen
sich in der Krypta des Hildesheimer Domes
bis jetzt erhalten hat. Die Vorliebe für der-
artige Thiergestalten im Dienst des Heiligthums
kann nicht auffallen, denn längst hatten in das-
selbe die orientalischen Seidengewebe Eingang
gefunden mit ihren von Bestien, wilden und
zahmen, wirklichen und fabelhaften, beherrschten
Musterungen, und wenn diese reich dessinirten
Stoffe zu den liturgischen Gewändern oder als
Wandschmuck verwendet, nicht weniger für
architektonische Friese und sonstigen plastischen
Dekor als Vorbilder benutzt wurden, dann kann
es nicht befremden, dafs an ihnen auch die
Metallkünstler sich inspirirten für die Schaffung
schmuckvollen Altargeräthes. Freilich hatte die
vorbildliche Bedeutung desselben nicht dadurch
sich geltend gemacht, dafs die ganz ornamental
behandelten, daher sehr phantastisch im Sinne
mittelalterlicher Vorstellungen stilisirten Thier-
figuren den Bilderkreis Deutschlands und der
Nachbarländer befruchteten, sondern vornehm-
lich dadurch, dafs die Freude am Bestiaire
noch zunahm. Diese war ja den Germanen
von jeher eigen, hatte bei den Angelsachsen
eine komplizirte Ausbildung erfahren und im
skandinavischen Norden bis zu dem Maafse
sich entfaltet, dafs gerade dort das Thier-
ornament die Hauptrolle spielte. Aber alle
die Bestien, die dort als Schmuckformen auf-
traten, lösten sich in Ornamente auf, so dafs
selbst diejenigen, für welche die heimische Fauna
die Muster bot, oft nur schwer die Naturform
erkennen lassen. Fast noch stärkere Umgestal-
tung haben sich die aus der Fremde einge-
führten Thiere, besonders die Löwen gefallen
lassen müssen, so oft sie nur die dienende
Rolle des Schmuckes zu spielen hatten, wäh-
rend bei ihrer Verwendung zu selbstständigen
Zwecken der engere Anschlufs an die Natur
beliebt war und erstrebt wurde. Freilich zogen
hier Mangel des Kennens wie des Könnens
vielfach enge Grenzen, am wenigsten vielleicht
im deutschen Norden und in den stammver-
wandten Niederlanden, wo der Bronzegufs in
jeder Hinsicht zu grofser Virtuosität gedieh.
Zu den durch Gröfse und künstlerische Aus-
führung hervorragendsten derartigen Gebilden,
welche die romanische Periode zurückgelassen
hat, zählt der vorliegende Bronzeleuchter, der

40 cm hoch, 23 cm lang ist und noch nicht
3 kg schwer, ein einziges Hohlgufsstück bis
auf den aufgelötheten Kerzendorn und wohl
aus der verlorenen Wachsform gewonnen, weil
es der damaligen Zeit kaum möglich gewesen
sein würde, auf anderem Wege einen so kom-
plizirten Gufs herzustellen, ohne einzelne Theile
nachträglich anzufügen. Nur an einer Stelle
zeigt dasselbe eine verlöthete Oeffnung, näm-
lich unter dem Bauche des Löwen, wo ein
sehr sauber eingefügtes Stück den hier der
inneren Reinigung wegen offen gelassenen Hohl-
raum schliefst. Der sehr monumental behan-
delte, in Kopf und Mähne vortrefflich stili-
sirte Löwe zeigt sein Knochengerüst in ener-
gischer, durch eingravirte Linien noch ver-
stärkter Betonung. Sein langer Schweif ist vor
dem rechten Hinterbein freistehend durchge-
zogen, um, über den ganzen Hintertheil fest-
anliegend herübergeführt, in zwei federbusch-
artigen, höchst dekorativen Quasten zu endigen.
In der Haltung wie im Ausdruck entspricht
der kühne Reiter durchaus seiner Aufgabe, zu
verstärkter Kraftbethätigung das rechte Bein
auf den Rücken des Löwens legend, das linke
nach vorn ausstreckend, mit der rechten, fein
geformten Hand den Kopf der Bestie nieder-
haltend, mit der linken rückgreifend den
Leuchterschaft fassend, der unvermittelt aus
seinem Rücken herauswächst, umschlungen von
den beiden Haarbüscheln, die sich um ihn
winden. In dieser strammen und kraftvollen,
aber ganz ungezwungenen Haltung macht der
Reiter, von welcher Seite man ihn auch be-
trachten mag, einen durchaus abgerundeten
Eindruck, und die ärmellose Tunika, die, nur
durch einfachen Kordelgürtel gebunden, über sein
trikotartiges Unterkleid in knapper Fältung ge-
legt ist, entbehrt nicht der durch eingravirte
Linien markirten Verzierungen. Sie bestehen in
oberen wie unteren, den hinten eingeschlitzten
Rock einsäumenden, geometrisch gemusterten
Borten, sowie in senkrechten Streifen, welche
die deckenartig sich ausbreitenden Schöfse, in
Diagonalen, welche Brustund Rücken schmücken.
Als aufsergewöhnlicher, den „üinanderieen" sel-
ten verliehener Schmuck erscheint die Ver-
goldung des Ganzen, deren durch zahlreiche
Oxydationsstellen gemilderter Glanz dem vor-
nehmen Gegenstande noch den besonderen Reiz
einer feinen Patina verleiht. Schnitt gen.
 
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