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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Hensen, Alfred: Die Kirche zu Belm
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0096

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145

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 5.

140

des Domes zu Osnabrück im Schnitt nicht
eine Kreislinie, sondern eine statisch recht un-
motivirle Form zeigen, die jedoch nur an der
Unterseite zur Geltung kommt, und wohl nur
aus ästhetischen Gründen Verwendung ge-
funden hat.

Wie aus dem Längenschnitt (Fig. 8) ersicht-
lich ist, liegt der Kämpfer der Gewölbe im
Schiffe beträchtlich höher, als im Chore. Aus
dieser Thatsache, wie aus mehreren anderen,
die unten angeführt werden, darf man schliefsen,
dafs die beiden westlichen Joche etwas späterer
Zeit entstammen als das Chorjoch. Die Kapitale
des Schiffes haben schon die ausgesprochenen
Knollenformen der Frühgothik, zwar in etwas
robuster Auffassung, während die Kapitale des
Ostjoches noch eine einfache romanische Kelch-
form aufweisen. Interessant erscheint in dem
Kapital des nordwestlichen Eckpfeilers (Fig. 10)
die späte Nachwirkung antiker Rerainiscenz,
die unverkennbar sich in der Volutenlösung
zeigt. Zu dem obigen Schlüsse berechtigen
uns ferner die Strebepfeiler, deren Gestaltung
noch eingehender besprochen werden soll. Die
inneren Pfeilervorlagen, welche den Schub des
Gewölbes aufzunehmen haben, sind einfach, aber
stark und wirkungsvoll gegliedert. Ein Aus-
laden des Bogenansatzes über den Grundrifs
des Pfeilerkernes, wie es die Gothik verlangt,
ist noch nicht vorhanden; der Querschnitt un-
mittelbar über dem Abakus deckt sich fast genau
mit dem Schnitt unterhalb des Kapitals. Die
Basis zeigt das übliche, aus dem attischen Säulen-
fufs entwickelte Profil und an den Säulchen das
Eckblatt. Der Sockel ist zweischichtig; er
sitzt jetzt leider zur Hälfte im Fufsboden.

Die Fenster sind die einfachen, rundbogig
gedeckten, mit tiefer und schräger Laibung in
die Wand geschnittenen Oeffnungen der ro-
manischen Periode, wenngleich sehr schlank.
Einfach und schmucklos ist ihre Form, aber
ihre angemessenen GröfsenVerhältnisse stellen
eine harmonische Wirkung her. Im Ostjoche
ist in der Südwand ein spätgothisches Fenster
an die Stelle des ursprünglichen getreten. Sein
dreitheiliges Fischblasenmafswerk wirkt ange-
nehm durch gute Verhältnisse. Es ist neu
verglast mit einer unbedeutenden Malerei, die
den hl. Dionysius vorstellt.

Das Aeufsere unsers kleinen Bauwerks ist
dörflich einfach und schlicht. Stille schmuck-
lose Flächen hüllen Kirchlein und Thurm ein;

nur dasNothwendige unterbricht rhythmisch diese
Ruhe, die Strebepfeiler und Fenster. Die ersteren
nehmen sogleich das Interesse des Beschauers
in Anspruch. Sie weisen eine naive, frühe Ge-
staltung auf, wie sie die Zeit des Ueberganges
von der romanischen zur gothischen Kunst her-
vorbrachte. Es ist früher wohl geglaubt worden,
dafs sich erst zu jener Zeit bei den Bauleuten
ein richtiges konstruktives Gefühl entwickelt
habe; das wäre jedoch zu gering gedacht von
den Meistern der romanischen Zeit, und es ist
auch keineswegs wahrscheinlich. Sie verstanden
sehr gut die statische Wirkung ihrer Gewölbe;
da indefs die Mauern in jener Periode vor-
zugsweise mittels einer Art Gufsmauerwerk her-
gestellt wurden, so erklärt sich einfach die
Unthunlichkeit der Ausführung von dünnen
Wänden, wie sie durchgehends erst in dem
reinen Quader, beziehungsweise Ziegelbau der
gothischen Zeit möglich wurde.1)

Die Strebepfeiler des Ostjoches sind in ganz
gleicher Weise gebildet, wie diejenigen am
Chore des Domes und der St. Johanniskirche zu
Osnabrück; dagegen zeigen die Vorlagen des
jüngeren Theiles in ihrer oberen Endigung
schon eine Gestalt, die darauf hinzuweisen scheint,
dafs der Baumeister jedenfalls vorher schon ent-
wickelte gothische Strebepfeiler gesehen habe,
von der Art, wie sie unter andern auch in
Minden und Wetzlar auftreten. Der obere kleine
Aufsatz (Fig. 11) läfst eine solche Annahme wohl
zu. Indessen ganz scheint der alte Baumeister
unsers Kirchleins diese Lösung doch noch nicht
erfafst zu haben, denn an den erwähnten Bauten
ist die Art des Strebepfeileraufsatzes, der eine
kesselartige Ausweitung der Regenrinne des
Gesimses trägt, offenbar bedingt durch die Ge-
staltung des Daches, dessen Wassermengen sich
gerade auf diese Punkte konzentrieren; das ist
leicht zu erkennen aus der beigefügten Skizze

(Fig. 4).

Das Bild des Aeufseren der Belmer Kirche
ist besonders angenehm belebt durch ein herr-
liches Portal, in dessen Durchbildung sich so
recht eigentlich seine Bestimmung ausdrückt.
Es ladet ein zum Betreten des schlichten Gottes-
hauses, indem es breit die Wand auflöst und
doch, den bescheidenen Verhältnissen entspre-

!) Die Anregung zu diesem und ähnlichem Ge-
dankengange verdanke ich dem hochverdienten und
begeisterten Lehrer der mittelalterlichen Baukunst Herrn
Oberbaurath und Professor Carl Schäfer zu Karlsruhe.
 
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