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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Braun, Joseph: Roermonder Häuser des XVI. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0180

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303

189(i.

ZIiJ.TSCHKJ.rr FÜR CIIKISTLICHE KUNST

Nr. II).

304

Roermonder Häuser des XVI. Jahrh.

Mit 4 Abbildungen.

onder Zweifel herrscht in unseren
Tagen auf dem Felde der profanen
Bauthätigkeit ein so geschäftiges
Treiben, wie es bislang noch nicht
die Welt gesehen, und das nicht blos im
Eldorado des Fortschrittes auf allen Gebieten
des practischen Lebens, im Lande des Sternen-
banners; auch im alten Europa entwickelt man
einen fast fieberhaften Baueifer. Wie dort binnen
weniger Jahre neue Städte aus dem Boden
erstehen, so schliefst sich hier um die alten
Bürgersitze in kurzer Frist ein immer mehr sich
erbreiternder Ring neuer Strafsen. Allein das
bauliche Schaffen in unserer Zeit beschränkt
sich nicht darauf, neue Orte aus dem Boden
hervorzuzaubern oder um einen altehrwürdigen
Kern seine frischen Schöpfungen herumzugrup-
piren, es wendet sich auch dem überlieferten
Alten zu und sucht es durch Zweckent-
sprechenderes, Nützlicheres, Bequemeres und
Schöneres zu ersetzen. Daher denn auch oft
genug die aus vergangenen Tagen stammenden
Stadttheile in überraschend kurzer Zeit ein
anderes Angesicht zeigen. Der Trieb, Neues
an die Stelle von Altem, Besseres an die Stelle
von minder Gutem zu setzen, ist dem Menschen
wie eingeboren; abgebrochen und umgebaut
hat man zu allen Zeiten. Wir besäfsen unzweifel-
haft mehr Reste mittelalterlicher Bürgerhäuser,
hätten nicht die letztvergangenen Jahrhunderte
ihren Neuerungstrieb an den Werken mittel-
alterlicher Kunst ausgeübt, und hätten nicht
schon die Meister des XIV. und XV. Jahrh. ihre
Bauten grofsentheils wiederum nur an der Stelle
anderer aufgeführt, die ihnen für die veränderten
Zeitverhältnisse nicht mehr genügend erschienen,
so würden von den Wohnhäusern des frühen
Mittelalters mehr auf uns gekommen sein, als
dies thatsächlich der Fall ist. Es ist demnach
wohl verständlich, wenn sich die heutige Bau-
lust auch im Umbau der alten Häuser bethätigt,
und zwar um so mehr, als darauf heutzutage
manche Umstände gebieterisch hinweisen. Denn
es läfst sich nicht verkennen, dafs die alten
Wohnungsverhältnisse vielfach unserm Bedürf-
nis nach Licht und Luft und manchen son-
stigen Lebensanforderttngen, welche sich in Folge
des allgemeinen Fortschritts und der damit zu-
sammenhängenden Verwöhnung ergeben haben,

keineswegs entsprechen. Ebenso klar ist es
ferner, dafs den modernen Verkehrsverhältnissen,
dem gesteigerten Handel und Wandel die engen
und niedrigen Räume der alten Häuser ebenso-
wenig genügen, wie die engen, winkligen
Strafsen der Vorzeit, daher für das geschäft-
liche Treiben geräumigere Bauten, für die reichen
Verkehrsmittel freiere Bahnen erstrebt werden.
Wir haben also gewifs an und für sich
keine Ursache, mit unsern Zeitgenossen zu
rechten, wenn sie Hand an alte Häuser legen
und sie niederreifsen, um mit Erweiterung der
Strafsen bequemere und den Anforderungen
unserer Tage entsprechende Neubauten aufzu-
führen. Allein schade ist es nicht nur, dafs die
Baulust nicht selten in Bausucht ausartet, und
dafs nur zu oft Willkür, Subjectivismus, Un-
kenntnifs der wesentlichsten Stilgesetze, Eklec-
tizismus und ganz besonders die wechselnde
Tagesmode das Schaffen beeinflussen, sondern
ebenso sehr, dafs dem Verlangen, Neues an
der Stelle des Alten zu sehen, vielfach auch
die letzten Reste mittelalterlicher Profanarchi-
tectur zum Opfer fallen und so nach und nach
diese ästhetisch vielfach beachtenswerten und
kunstgeschichtlich stets interessanten Ueber-
bleibsel vergangener Kunstthätigkeit vom Erd-
boden verschwinden. Freilich ist alles das ein
Bedauern, um das sich viele nicht kümmern.
Der praktische und hausbackene Verstand und
der nüchterne Sinn eines behäbigen Bürgers
denkt anders als der gefühlvolle Kunstästhctiker
und räsonirende Kunsthistoriker, und es will
dem gewöhnlichen Menschenkinde insbesondere
nicht allerwegen einleuchten, dafs es Leute
geben kann, die über die Zerstörung alter,
enger, winkliger, niedriger, dumpfer und dunkler
Häuser ein Klagelied anstimmen möchten.
Die Kunst und das Alltagsleben gehen eben
nicht immer denselben Weg, wie ja auch die
1 nteressen beider wohl auseinanderlaufen. „Wissen
Sie nicht", so fragte mich jüngst die Eigen-
thiimerin eines alten, recht interessanten, aber
inwendig den Zeitanforderungen wenig ent-
sprechenden Hauses, von dem ich gerade eine
Skizze anfertigte, mit einem Anflug von Humor,
„irgend einen Antiquitätenliebhaber, der den
alten Bau mir abkaufe? So ein Haus ist nichts
mehr für uns Leute".
 
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