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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Tepe, Alfred: Säulen und Weiträumigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0036

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1897. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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Mumien, Sphynxen und Pyramiden vervoll-
ständigen unendliche Säulenreihen, versteinerte
Lotosblumen, uns das Bild des geheimnifsvollen
Nilthaies. Die kostbaren Säulen des Aachener
Münsters, der Pfalzkapelle des grofsen Kaisers,
stachen den Herren Sanskulotten so in die
Augen, dafs sie dieselben säuberlich in Kisten
verpackt, nach ihrem lieben Paris mit aus-
führten.

Will die bildende Kunst einen Architekten
darstellen, so fügt sie seinem Ganz- oder Brust-
bild, als Berufsandeutung, den Cirkel bei —
nun ja das ist sein Handwerkszeug — aber um
ihn geistig zu charakterisiren, sein Streben und
Wollen, seine Ideale zu verdeutlichen, da
wäre, scheint mir, die Säule das richtigste
Attribut.

Wie gerne sprechen wir vom Säulenwald,
oder umgekehrt vom Waldesdom; wie wecken
Säulen des Rechts und Säulen der Ordnung
unsre Ehrfurcht und unser Vertrauen! Es hat
Säulenheilige gegeben; Feuersäulen standen am
Himmel, Heeressäulen wälzen sich heran und
die Säulen des Herkules beherrschen die be-
rühmte Meerenge. Um wiederum mit einem
Dichter zu reden:

Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht!

So lebt und herrscht die Säule durch die
Jahrtausende an Tempeln und in Kirchen, im
Volksmund und im Liede. ■

Aber unser liebes altes Jahrhundert schüttelt
mifsmuthig den Kopf und protestirt: Mein Ent-
zücken ist sie keineswegs, sie pafst mir nicht
mehr in meine Verhältnisse: hab' Experimente
genug damit angestellt; die griechische, die
herrliche hab ich durchprobirt in all' ihren
Formen und Wandlungen; die dorische, jonische,
korinthische, glatt oder kannelirt, frei oder
halb eingemauert, angewandt bis zum Ueber-
drufs — freilich nur hie und da in veritabelem
Marmor, Granit oder Sandstein; dafür aber
desto öfter in Pappe, Blech, Gyps oder Cement
— wahre Meisterleistungen der Stukaturkunst!
Und gar die gothischen, die runden sowie die
prismatischen, die Dienste und Dienstbündel,
ich mag sie nicht mehr sehen! Habe selbst
in der Branche Erfindungen gemacht; Eisen-
dienste möcht ich sie nennen, freilich frei-
stehende; schlanke, lange, dünne Dinger, die
sich wenigstens nicht breitspurig in den Weg
stellen.

Ei seht Euch doch um's Himmelswillen
meine Menschlein an; wie ist die liebe Gesell-
schaft angewachsen, hat sich unter meiner
mütterlichen Pflege mehr als verdoppelt — und
das will Raum, Raum und nochmals Raum.
Und mit der Anzahl sind die Ansprüche ge-
wachsen: meine Kinderchen wollen unbehindert
alles sehen, hören und kritisiren — die guten
Christen sowohl als die Gottlosen.

Eigentlich ist das Eisen mein Baumaterial,
das hab ich auch voraus auf vergangene Zeiten,
sie mögen sich rühmen, womit sie wollen.
Weite Ströme überbrücke ich damit, in riesigen
Dimensionen kühne Bögen schlagend, mächtige
Gitterbalken legend, unendliche Drahtseile
spannend — schaut aber auch, was ich leiste
in Bahnhallen und Ausstellungsgalerien; Heidi,
da können die Meinigen sich tummeln und
erlustigen! Ich weifs, ich weifs, ihr redet von
Kirchen — aber auch meine Frommen, ich
sagt es schon, wollen hinter keinen Pfeiler ver-
wiesen werden, wollen Messe sehen, nicht allein
hören, des Predigers Mienenspiel und Gesti-
kulation, die den Vortrag erst vollständig und
eindringlich machen, mitgeniefsen. Höchstens
der eine oder andere veraltete Bauersmann hält
fest an der Tradition des Nachmittagsschläfchens
in trauter Pfeilerecke. Freiheit der Bewegung,
dem Auge, dem Ohre Unbeschränktheit, unge-
hinderter Mitgenufs!

Nimm mir's nicht übel, mein gutes, altes
Neunzehntes, ich fürchte, du bist nicht ganz
konsequent und konstant in deinen Ansichten.
Trotz deiner Philippika gegen Hindernisse und
Beschränkungen kommt es mir vor, als erfreue
sich die gegenwärtige romanische Kirchenbau-
mode in bedeutendem Maafse deiner Sympathie.
Und warum nicht? Konstanz, Konsequenz,
damit sollt ihr mir kommen. Wer kann und
darf die von mir erwarten, bei meiner Hast,
meiner Unruhe und Nervosität! Das Romanische
war noch nicht ordentlich an der Reihe ge-
wesen, war nur sporadisch aufgetreten, hatte
den Reiz der Frische und Neuheit — ach und
weh die Gothik! meint ihr meine Pastöre und
Kirchenvorstände, die sich gern ein bischen
hervorthun und auszeichnen, kurzum was
Apartes haben möchten, wären der ewigen
Gothik nicht längst satt gewesen und schauten
verlangend aus nach einem anderen Bild? Und
meine braven Architekten empfanden nicht
minder das Bedürfnifs auf neuem Felde ihr
 
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