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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Wormstall, Albert: Eine romanische Bronzeschüssel aus Westfalen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0165

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247

1897. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr. 8.

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darstellt, erscheint auf der Xantener die Sa-
pientia, die göttliche Weisheit, zwischen den
Hauptaposteln Petrus und Paulus, im Kreise
von sechs alttestamentalischen Personen, die
Gaben des heiligen Geistes repräsentiren.
Menschliches Denken ist das Thema unserer,
göttliche Weisheit das der Xantener Schüssel.

Aldenkirchen (1. c.) hat die Frage eingehend
erörtert, ob die Xantener und die verwandte
Trierer und Aachener Schüssel eine liturgische
Bestimmung gehabt haben, und war geneigt,
diese zu bejahen. Nachdem aber Gremplers
Aufsatz erschienen ist, darf es wohl als aus-
gemacht gelten, dafs diese Klasse Gefäfse nicht
spezifisch liturgisch war. Dabei ist keineswegs
ausgeschlossen, dafs das eine oder andere Stück
als Waschbecken, Opferteller, Taufbecken u.s. w.
in kirchlichem Gebrauche gewesen ist.

Bisher ist es nicht gelungen, auch nur an-
nähernd zu bestimmen, wo der Ausgangspunkt
der Fabrikation dieser Bronzeschüsseln war. Die
Darstellungen einzelner, so auch der unsrigen,
sind aber derart, dafs sie nur unter dem Ein-
flüsse einer Stätte entstanden sein können, in
der Kenntnifs der Bibel und Legende, mittel-
alterlicher Philosophie und antiker Mythologie
zu Hause war, und zugleich eine geschulte
Kunstübung zur bildlichen Darstellung befähigte.
Man möchte daher an ein Kloster des XII. Jahrh.
denken, aus dem wenigstens die Vorlagen zu
den besseren Schalen dieser Klasse hervor-
gingen. Es schwebt ein Räthsel über der
Fabrikation und dem Handelsvertrieb dieser
heute in grofser Anzahl bekannten mittelalter-
lichen Bronzegefäfse, insbesondere der zu ihnen
gehörenden zahlreichen Schüsseln mit ganz ent-
arteten, barbarischen Flügelfiguren. Eine Lösung
dieses Räthsels, die nicht aufserhalb des Be-
reiches der Möglichkeit liegt, würde mit bedeut-
samen Ergebnissen für die Geschichte der Kunst
und des Handels verbunden sein.

P. S. Während der Korrektur wurde ich
durch einen Aufsatz der »Deutschen Rund-
schau«12) auf eine Zeichnung im »Hortus deli-
ciarum« der Äbtissin Herrad von Landsperg auf-
merksam gemacht. Der Hortus war bekanntlich
ein Kompendium des XII. Jahrh., in dem allerlei
Wissenswerthes aus der Bibel und dem christ-
lichen Leben stand und reiche Illustrationen

la) L. Friedländer „Das Nachleben der An-
tike im Mittelalter", in der »Deutschen Rundschaue
1897 (August) S. 210 ff.

zur Erläuterung dienten. Herrad schenkte es
den Nonnen zu Hohenburg oder S. Odilien i.Els.
Bei der Belagerung von Strafsburg im Jahre 1870
ging das Original durch Brand zu Grunde.
Glücklicherweise ist uns das Meiste in Kopien
erhalten.13)

Jene Zeichnung des »Hortus«14) 'ist kreis-
rund umgrenzt mit eingeschlossenem Sieben-
passe auf konzentrischen, romanischen Säul-
chen, die auf einem mittleren, runden Medaillon
fufsen. Innerhalb dieses thront die Philosophie;
sie trägt eine Kopfbedeckung, aus der drei
Köpfe: ethica, logica, phisica, herauswachsen;
auf ihrem Spruchband steht: Otnnis sapienlia a
domino deo est. Soli, quod desideranl, facere
possunt sapientes. Zu ihren Füfsen schreiben an
Pulten links Sokrates, rechts Plato; oberhalb ist
zu lesen: Naturam universe reiqueridocuitphilo-
sophia. Im Siebenpasse stehen sieben weib-
liche Figuren mit den Attributen der sieben
freien Künste, jede einzelne mit Um- und Bei-
schriften. Um das Ganze laufen am Rande die
Sprüche: Hec exercicia, que mundi philosophia
inves/igavit, investigata notavit, scripto ßrmavit
et alumnis insintiavit. — Septem per sludia doeet
artes philosophia, hec elementorum scnttatiir et
abdita rerum.

Die Aehnlichkeit der Gravirungen unserer
Schüssel mit dieser Zeichnung des Hortus fallen
sogleich in's Auge. Die Raumeintheilung ist
fast dieselbe, nur ist auf der Schüssel einSechs-
pafs statt eines Siebenpasses. Die Figur der
Philosophie ist auf beiden fast identisch. So-
krates und Plato sind im Hortus nur herunter-
gerückt und an Schreibpulte gesetzt. Das
Schriftband der Philosophie trägt hier wie dort
einen gleichen Spruch; der Rand der Zeich-
nung weiset denselben Spruch auf wie der
Rand der Schüssel, nur dafs auf jener noch
der Spruch hinzugefügt ist, welcher auf der
Schüssel das mittlere Rund umgibt. Der wesent-
liche Unterschied zwischen beiden Darstellungen
beruht darin, dafs im Hortus statt der Ge-
lehrten des Alterthums weibliche Allegorien
mit anderen Beischriften und ferner eine gröfsere

n) »Hortus Deliciarum par l'abbesse Herrade de
Landsperg. Reproduction heliographique d'une serie
de miniatures, calquees sur l'original de ce manuscrit
du douzieme siecle.c Texte explicatif par le chanoine
A. Straub - G. Keller. Societe pour la conser-
vation des monuments historiques d'Alsace.

14) Ebenda Livraison II, PI. XI bis.
 
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