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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

DOI Artikel:
Firmenich-Richartz, Eduard: Hugo van der Goes: eine Studie zur Geschichte der altvlämischen Malerschule, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0193

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Abhandlungen.

Hugo van der Goes

Eine Studie zur Geschichte der alt-

vlämischen Malerschule.

II.
Mit 2 Abbildungen,
ämmtliche Maler, welche um
? die Mitte des XV. Jahrh. bis
zu dessen Schlufs in Flan-
dern und Brabant thätig
waren, haben in der Kunst-
geschichte nur als Epigonen
fortgelebt, die ihr Licht von dem Doppel-
gestirn der Brüder van Eyck empfingen.
Als deren Erben und Nachfolger ver-
breiteten sie die neue Oeltechnik in immer
weiteren Gebieten. In ihren betriebsamen
Werkstätten zu Gent, Brügge und Löwen ent-
standen ungezählte Tafelgemälde in leuchten-
dem Farbenglanz, die der regsame nieder-
ländische Handel überallhin verbreitete, wo
intim aufgefafste Szenen aus dem Leben des
göttlichen Urhebers der christlichen Weltan-
schauung und der Geschichte seiner Heiligen
frommes Verständnifs fanden.

Keiner aber vermochte es an poetischem
Tiefsinn den Triumph des Agnus Dei der
Genter Altarbilder zu erreichen oder die über-
zeugende Lebenswahrheit der durchgebildeten
Charakterköpfe des Jan van Eyck in Schatten
zu stellen. Nur langsam erweiterten sich nach
so erstaunlichem Aufschwung die Darstellungs-
mittel in den Händen tüchtiger Maler, die auf
gebahntem Pfad emsig fortschritten. Je nach
Temperament und Befähigung wandte der eine
sich zur Wiedergabe dramatischer Szenen der
Heilsgeschichte, deren strenges Pathos die
Seelen beschaulicher Beter rührte; ein anderer
Meister stimmte den herben Realismus in den
Madonnenbildern des Jan van Eyck zu zarter
Gottesminne voll genrehaftem Liebreiz oder
versenkte sich in das Studium der Landschaft,
die bisher der heiligen Geschichte nur zur
wirkungsvollen Folie gedient hatte. Durch ver-
besserte Luftperspektive versuchte man die
Illusion noch zu steigern, Mittelgrund und
Fernsicht in zarteren Uebergängen zu ver-

schmelzen und die Figuren zu der umgebenden
Landschaft in weit innigere Beziehung zu setzen.
Trotz unzweifelhaften Verdienstes und ihrer
Eigenart weist die Kunst eines Rogier van der
Weyden, Memlinc oder Dierick Bouts doch
immer nur zurück auf jenen „Princeps picto-
rum", dem man sogar durch Vermittelung des
Antonello da Messina fruchtbaren Einflufs auf
die Blüthe der Malerschulen in Florenz und
Venedig einräumen möchte.

In dem engeren Sinn eines unmittelbaren
persönlichen Zusammenhanges wird Hugo van
der Goes als Schüler des Jan van Eyck ge-
nannt.1) Die Begründung dieser Annahme be-
steht im »Schilderboeck« einzig in der Er-
wägung, dafs zu hochgepriesenen Meistern stets
junge Leute, die Liebe zur „Teycken-const"
verspüren, von Nah und Fern herbeizueilen
pflegen, um die Belehrung aus erster Quelle
zu schöpfen. Selbst wenn wir nun diese Be-
hauptung für alle Fälle als Beweisgrund gelten
lassen wollten, so ist es doch allein schon
wegen der Zeitdifferenz unmöglich, dafs der
junge Hugo van der Goes noch seine Unter-
weisung bei den Begründern der vlämischen
Malerschule genossen habe. Der Jüngere der
Brüder, Jan van Eyck, starb zu Brügge 9. Juli
1440; Hugo van der Goes, der wahrscheinlich
einer alten Genter Familie entstammte, war erst
seit 1465/66 Mitglied der dortigen Lukasgilde.
Seine Geburt darf keinesfalls über das Jahr
1430 zurückdatirt werden. Geraume Zeit nach
dem Hingang der beiden grofsen Bahnbrecher
des niederländischen Realismus wird er sich
deren Oeltechnik aus zweiter Hand in einer
Genter Malerwerkstatt angeeignet haben. Der
erstaunliche Umfang der Ausdrucksmittel, die
Vielseitigkeit und Wirkungskraft dieser neuen
Kunst mag auch ihm erst vor jenen Altartafeln
in der Johanniskirche zu vollem Bewufstsein
gekommen sein.2) Der mystische „Brunnen
des Lebens" wurde für ihn auch zur Quelle
neuer Offenbarung von der Darstellung alles

x) Hugo a Goes, teste Vanmanderio, discipulus
fuit Joannis Eyckii, a quo mixturam olei cum colori-
bus in primum didicit. Sanderus a. a. O.

2) Marcus van Vaernewyck a.a.O. 47.
 
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