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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Graeven, Hans: Ein Elfenbeindiptychon aus der byzantinischen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0129

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Abhandlungen.

Ein Elfenbeindiptychon aus der
Blüthezeit der byzantinischen Kunst.

Mit Lichtdruck (Tafel IV).

uffallenderweise beherbergt das
Elfenbeinzimmer des Grünen
iGewölbes in Dresden auch
I drei byzantinische Reliefs,
I die sich hier in sehr fremd-
artiger Gesellschaftbefin-
den, denn die ringsum
versammelten Kunst-
werke gehören gröfstentheils dem letzten Viertel
des XVI. und den beiden folgenden Jahrhun-
derten an, einige wenige gothische Diptychen
ragen bis in's XV. Jahrh. hinauf, auch sie
sind also noch fast um ein halbes Jahrtausend
junger als jene Erzeugnisse Konstantinopels.
Wie und wann dieselben in die Sammlung ge-
langt sind, ist nicht bekannt; alle drei zeichnen
sich aus durch vorzügliche Erhaltung.

Das eine Relief stammt von der Beklei-
dung eines Kästchens, es ist trapezförmig und
von sehr geringen Dimensionen. Wie es scheint,
hat es gerade deshalb noch gar keine Beach-
tung gefunden, und doch ist es durchaus nicht
unwichtig, da es uns den Schlüssel zum Ver-
ständnifs einer gröfseren Reliefserie gibt, die
von den Illustrationen der Wiener Genesis ab-
hängig ist.1) Die beiden anderen Dresdener
Monumente sind isolirte Hälften von Diptychen.
Die gröfsere zeigt in sehr hohem Relief die
Figuren des Paulus und des Evangelisten Jo-
hannes und über ihren Köpfen in erhabenen
Buchstaben ein Gebet an die Heiligen, den
Kaiser Konstantinos zu schützen. Vermuthlich
ist damit Konstantinos Porphyrogenetos gemeint
(912—959). Dieselbe Inschrift und dieselbe
Darstellung nur leicht variirt kehren wieder auf
einer jetzt in Venedig befindlichen Platte, die
zu einem Diptychon gehörte, dessen andre
Hälfte mit den Figuren des Petrus und An-
dreas im Wiener Museum ist.2)

') Die Publikation des Reliefs erfolgt im XXI.
Bande des »Jahrbuchs der kunsthistorischen Samm-
lungen des allerhöchsten Kaiserhauses«.

2) Abb. der beiden Platten Gori »Thesaurus diplhy-

Die zweite Diptychonhälfte in Dresden ist
hier Taf. IV 1, 2 abgebildet; ihre Innenseite ist
in zwei Felder getheilt, deren oberes eine Szene
des Ostermorgens darstellt, im Anschlufs an
Matthäus 28. 9. Als Maria Magdalena und die
andre Maria das leere Grab besucht und vom
Engel die Wundermähr der Auferstehung er-
halten hatten „siehe, da begegnete ihnen Jesus
und sprach: seid gegrüfst. Und sie traten zu
ihm und griffen an seine Fiifse und fielen vor
ihm nieder". Die spätere Kunst hat die Er-
zählung der anderen Evangelisten bevorzugt,
die nur Maria Magdalena dem Herrn begegnen
lassen und ihm die Worte in den Mund legen:
Rühr mich nicht an. Damit war der Vorwurf
zu einer lebhafteren Darstellung geboten, worin
Christus in einer momentanen Bewegung des
Abwehrens erscheinen mufste. Die wenigen
Bildwerke, die gleich dem unsrigen von Mat-
thäus abhängen, athmen den Geist der Ruhe,
des Friedens. Der Herr ist bei der Begegnung
stehen geblieben, die Frauen liegen am Boden
ganz wie die Schwestern des Lazarus, über
ihrem Haupt macht die gesenkte Rechte Christi
den sogenannten lateinischen Segensgestus, der
aber oft nichts als ein einfacher Redegestus ist.
Die Rede des Herrn, die nur aus einem Worte
besteht, hat der Elfenbeinschnitzer dabei ge-
schrieben: %ulQtit. Dies Wort ist die übliche
griechische Grufsformel, aber es liegt darin
mehr als in unserem „seid gegrüfst", es ist der
ursprüngliche Sinn darin lebendig, eine Auf-
forderung zur Freude, die Christus als Trost
an die Trauernden richtet, weil er nunmehr
auferstanden ist.

Eine bewegtere Szene sehen wir in dem
unteren Felde. Sie führt den Titel ij dväara-
aig, mit dem die byzantinische Kunst die
Höllenfahrt zu bezeichnen pflegt. Der Satz des
apostolischen Glaubensbekenntnisses „nieder-
gefahren zur Hölle" hat offenbar die Anregung
gegeben, die Höllenfahrt so oft darzustellen,
zur Ausgestaltung der Szene aber hat die apo-
kryphe Erzählung, die unter dem Namen des
Nikodemos geht, die Elemente geliehen. Sie

chorum« III, p. 243, Taf. XXVIII, XXVIX; Schlum-
berger »MeManges d'archeologie byzantine« p. 337.
 
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