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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0129

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185

1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. G.

180

Ihre Rechte hält einen Apfel, das recht innig aufge-
fafste sitzende Kind hat beide Hände vorgestreckt.
Der linke Fufs ruht auf einem Kissen, das Sedile
sehr einfach. Mehrfache Reste der Bemalung. Die
noch etwas gröfsere, sehr stark ausgebogene Madonna
der Kirche von Villcneuve-lez-Avignon, hält das
stehende Kind und sitzt auf einer durch Arkaden ge-
gliederten Bank, den linken Fufs auf einen Hund ge-
stellt. Die Bemalung ist hier ungewöhnlich stark
ausgebildet, indem auch die Köpfe inkarnirt, das
Schleierfutter roth lasirt, breite Goldborten als Säume
verwendet, Goldranken über Kleid und Mantel aus-
gedehnt sind. — Die grofse stehende Madonna des
Museums von Rouen ohne Schleier, mit herunter-
fallendem Haar, das halb bekleidete, den Finger im
Mund haltende Kind mit beiden Händen haltend, be-
zeichnet bereits den gegen das Ende des XlV.Jahrh.
eingetretenen Realismus, wie er hier verhältnifsmäfsig
wenig vertreten ist. Fast alle Madonnen, sitzende
wie stehende, von denen zwei noch bis in das XII.
Jahrh. zurückreichen, etwa sechs dem XIII. Jahrh.
angehören mögen, während die weiteren sechszehn
die Merkmale des XIV. Jahrh. an sich tragen, stellen
das Kind bekleidet dar, eine als Wickelkind, eine
sogar im Bett, und zeigen durch die grofse Verschie-
denheit in den Details, in Haltung, Gestaltung, Aus-
druck die aufsei ordentliche Erfindungsgabe der da-
maligen Meister, die in dem engen ikonographischen,
wie technischen Rahmen die gröfste Mannigfaltigkeit
zu entfalten wufsten. — Zu derselben Beobachtung
drängen die ein halbes Hundert umfassenden, fast
ausschliefslich im XlV.Jahrh. entstandenen Diptychen,
Triptychen, Polyptychen, von denen die kleineren
vielfach Christus am Kreuz zwischen Maria und Jo-
hannes, Maria zwischen zwei kerzentragenden Engeln
zeigen, die gröfseren in der Regel Leidensszenen,
zwei, drei, sogar vier Reliefs übereinander. Spuren
von Farben, wenn auch nur spärliche, finden sich auf
den meisten, vollständige Bemalungen nirgendwo, viel-
fache, nicht nur auf die Futterumscliläge sich be-
schränkende Uluminirungen nicht selten. Bei diesen
tritt folgender Klimax in die Erscheinung: Auf blauem
Grund vergoldete Figuren und Architektur; bei weifsem
Grund rothe, blaue, grüne Futterumschläge und kleine
Gewandmusterungen; auf blauem Grund ganz polychro-
mirte Gewänder in opak-blauen, grün oder roth la-
sirten Tönen. Diese reichste Art farbiger Behandlung
hat sich auf einem Diptychon der Samml. V. Oppen-
heim (Nr. 128) erhalten, die an Reichthum hervor-
ragender Elfenbeinskulpturen von keiner anderen
erreicht wird. Auch ihr Tetraptychon mit Passions-
bildern (Nr. 112), ihr Triptychon mit der Gottesmutter
zwischen zwei Engeln (Nr. 116), sowie mehrere Di-
ptychen, von denen ein metallbekleidetes, aus zwei
runden Medaillons bestehendes, etwas späteren, flandri-
schen Ursprungs sein dürfte, machen sich durch un-
gewöhnlich gute Ausführung bemerkbar. Vortrefflich
ist auf diesem Gebiete der für die Privatandacht be-
stimmten Kleinplastik auch die Sammlung Campe aus
Hamburg (zwei Triptychen Nr. 113 und 114, zwei
Diptychen Nr. 124 und 125) vertreten, wie jene sich
überhaupt aus Privatsammlungcn (Doistan, Boy, Cor-
royer, Cottereau, Maignan, Thewalt u. s. w.) vornehm-
lich rekrutirt hat. Auch die sehr fein durchgeführte,

reich bemalte und vergoldete Cylinderbüchse des
Museums von Dijon (Nr. 102) mit auf zwei Zonen
vertheilten Darstellungen aus der Kindheit des Hei-
landes, die kleinere Pyxis des Museums von Reims
(Nr. 103), der gröfsere Koffer mit vierundzwanzig
neutestamentlichen Szenen aus dem Museum von
Toulouse (Nr. 171), die beiden herrlichen leuchter-
tragenden Engel, welche auf metallischer Plattform
stehend die flache Bergkrystallkapsel des XVI. Jahrh.
flankiren (Dom von Rouen), sowie zwei Kurvaturen
von Bischofsstäben (Nr. 152 u. 153), sämmtlich aus
dem XIV. Jahrh., gehören noch in diese Gruppe.
Desgleichen als Erzeugnisse des XV. Jahrh.: die
reizende polychromiite Verkündigung des Museums
von Langres (Nr. 173) mit gravirtem Lederetuis
(Wappen Philipps des Guten), Mutter Anna sitzend
mit der Gottesmutter und dem halbbekleideten Jesu-
kinde auf dem Schofse (Museum von Compiegne
Nr. 174), St. Margaretha und Sebastianus, zwei kleine,
aber überaus fein behandelte Figuren (der Samml.
Doistan, Nr. 178), verschiedene Kufstäfelchen, end-
lich ein grofser Klappschrein mit mächtiger Kreuzi-
gungsgruppe, neben welcher schwebende Engel, eine
Arbeit von Jaillot aus 1664.

Neben diesem Reichthum an religiösen Darstel-
lungen treten die profanen, wie sie im Mittelalter
namentlich auf Turnier- bezw. Minne käs tc hen
und Spiegelkapseln beliebt waren, an Zahl etwas
in den Hintergrund, an kulturgeschichtlicher Bedeu-
tung aber um so mehr in die Erscheinung. Unter
den Turnierkästchen zeichnet sich das v. Oppenheim-
sche (Nr. 165) durch Grofse und Reichthum der
legendarischen und symbolischen Darstellungen aus,
in welche auch der Jungbrunnen, die Sage von
Alexander und Aristoteles, von Tristan und Isolde,
von dem Einhorn u. s. w. aufgenommen sind. Von
den beiden Mannheim'schen Kästchen (Nr. 166 -167)
ist das eine sehr fein; auch das von Thewalt in Köln
(Nr. 187) recht beachtenswerth. Von den zumeist
runden Spiegelkapseln, die sämmtlich mit Liebesszenen
ausgestattet sind, gehören zehn dem XIV. Jahrh. an,
darunter eine doppelte im Besitze von Oppenheim
(Nr. 157), zwei dem XV. Jahrh. Mit dem Schlüsse
dieses Jahrhunderts scheint der Gebrauch dieser Spiegel
in Abgang gerathen und der reichverzierte Buchs-
spiegel als vornehmstes Toilettenwerkzeug eingeführt
worden zu sein. Einen solchen führt die Holz-
abtheilung als Eigenthum des Barons v. Oppen-
heim unter Nr. 3127 auf. — Diese Abtheilung beginnt
mit den letzten Ausklängen der romanischen Periode,
über welche Holzschnitzereien im Abendlande nur in
seltenen Fällen hinausreichen, und die sitzende Gottes-
mutter ist hier, wie in den meisten Sammlungen, die
älteste Figur. Sie begegnet in verschiedenen Abwand-
lungen aus dem Anfange des XIII. Jahrh., von denen
die der Samml. Maignan (Nr. 3031) durch ihre Griil'se,
Erhabenheit und zum Theil ursprüngliche, fast ganz
in Glanzgold ausgeführte Bemalung herausragt. Eschen-
und Nufsbaumholz liefern hier fast immer das Material,
so dafs bei dem in Frankreich sehr selten vorkommenden
Eichenholz, welches in Deutschland um diese Zeit die
Regel bildet, der Gedanke an fremden Ursprung sich
nahe legt. Eine sitzende Bischofsfigur aus Angers
(Nr. 3037) trägt hier, wie auch sonst öfters, diese
 
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