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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Schubring, Paul: Die primitiven Italiener im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0234

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359

1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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wieder, und stelle sie in Gedanken in das ge-
brochene Licht des Chores von San Francesco
wieder auf — welch wunderbarer Kampf von
Hell und Dunkel, von Blitzen und Abstofsen
entwickelt sich dann!

Noch eins: Die Tafel mifst 4,24 X 2,76 m.
Wer hat später noch so riesige Hochtafeln in
ungebrochener Fläche mit 8 Figuren zu füllen
gewagt? Giotto ging zur Fünftafel über und
das Triptychon wurde bald in Florenz offiziell.
Die Komposition geht in die Breite, füllt sich
mit Figuren, und bringt die entwickelte Hier-
archie. Wir begrüfsen das insofern, als sich
hieran das Manichfaltige entzündete. Aber die
Macht des grofsen einheitlichen Moments in
der Höhenkomposition ging dabei verloren.

Das Bild wird umzogen von einer ganz
schmalen, mit 26 Medaillons geschmückten
Rahmenleiste. Giottos gleich zu besprechendes
Bild hat den gleich schmalen Originalrahmen.
Auch dies ist sehr lehrreich. Der Rahmen that
damals einen viel bescheideneren Dienst als man
heute von ihm fordert. Er soll das Bild nicht
„zusammenhalten", „abgrenzen", sondern nur
leicht umlaufen. Erst gegen 1330 hebt das
Tabernakelsystem an, das dann seit Orcagnas
Tabernakel unumgänglich wurde. Aber wie
mag Giotto sein Baroncellibild gerahmt haben,
das heut in einem aufdringlichen Renaissance-
rahmen thronen mufs ? Sicher auch ganz
schlicht. Diese Bilder bedürfen keines gol-
denen noch anderen Häuschens, sie stehen
in sich abgeschlossen da.

Cimabue nennt sich auf der Tafel nicht; und
so kennen wir seinen vollen Namen noch immer
nicht. Wir wissen nur, dafs er Cenno (Benvenuto)
di Pepo hiefs; Cimabue ist ein Spitzname und
bedeutet: So grofs wie ein Ochse. Er mufs
also ein Riesenkerl von Natur gewesen sein.8)

'1) Während Strygowski ebenso wie ich die
Louvre-Madonna in die späte Zeit setzt, will sie Z i m m er -
mann, S. 204 in die frühe Zeit mit der Trinitä-
Madonna ziemlich gleichzeitig ansetzen. Der Grund
ist ein sehr äuiserlicher: Bei der Trinitä- und Louvre.
Madonna kämen beidemal und später nicht mehr die
aufflatternden stilisierten Bänder zu beiden Seiten der
Engelköpfe vor. Solche ikonographischen Bestände
eignen sich durchaus nicht zur Stilkritik. Denn sie
sind weniger eine Vorliebe des Künstlers als ein Er-
fordernis hierarchischer Pedanterie. Sie waren aller
Wahrscheinlichkeit nach auch an den Engeln der
Assisi-Madonna, sind aber den derben Eingriffen der
Restaurirung zum Opfer gefallen.

Wie seltsam wirkt doch das gemeinsame Exil
vonCimabues und Giottos Bild (Abb. 2), die
beide die gleiche Heimath — eben San Francesco
in Pisa — verlassen mufsten, um sich in Paris
wieder zu treffen.4) War Cimabues Madonna
das grofse Repräsentationsbild des Hauptaltars,
so dürfte Giottos Altar als der des Titelheiligen
mindestens die zweite Stelle eingenommen
haben. Ja, man könnte fragen, ob das Ka-
pitel des Ordens nicht schon von Cimabue
ein Franz-Bild gewünscht hatte, das dieser
aber ablehnte. Mit Grund! Cimabue hat den
hl. Franz einmal gemalt, und ihn verehrend
neben die Assisi - Madonna gestellt. Aber
ein Altarblatt aus dem Stoff zu machen, ver-
stand er nicht. Er war in den biblischen
Geschichten erzogen und hat Altes und Neues
Testament mit wunderbarer Kraft verdolmetscht.
Aber die moderne Biographie eines umbrischen
Heiligen wollte er nicht schreiben oder malen.
An. diesem jungfräulichen Stoff hat sich die
neue Kunst Giottos zum ersten Mal frisch
entzündet. Was auch Wickhoff und seine
Schule (Kailab) heute über die Franzfresken
in Assisi proklamiren mag, wir bleiben bei
Thodes Nachweis, dafs in diesem Cyklus die
neue Dramatik eines lebendigen Erzählers am
frühesten zum Ausdruck kommt; wenn der
Künstler nicht Giotto hiefs — wir glauben es
bestimmt — so hätten wir eben einen Ano-
nymus als den Bahnbrecher zu verehren.

Man nennt diese Fresken gern Jugend-
arbeiten Giottos. Er ist aber damals schon
30 Jahre alt. Zwischen Anfang und Vollen-
dung liegt das römische Jubiläum von 1300, das
Giotto nicht nur als Christ mitfeierte. Hätte
der Kardinal Stefaneschi, dem doch Pietro
Cavallinis Kunst zu Gebote stand, einem An-
fänger einen so vornehmen Auftrag, wie das Ta-
bernakel für den Hochaltar in St. Peter, über-
geben? Sieht das Papstporträt Bonifac' VIII.
wie ein Jugendwerk aus? Man vergifst, dafs
Giotto 71 Jahre alt wurde und dafs wir seine
Arbeiten erst von 1296 etwa an kennen.

Die Franzlegende hat Giotto nicht mehr
los gelassen. Er malte die Hauptszenen im
gröfseren Stil wieder in der Kapelle Bardi der
Sa. Croce von Florenz wohl zwischen 1310 und

*) Supino gibt in dem Katalog des museo civico
in Pisa (1894) eine Uebersicht der aus Pisa unter Na-
poleon geraubten zehn Gemätde, von denen nur eins
(Soddomas „Opferung Isaaks") zurückkehrte.
 
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