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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Braun, Joseph: Das Rationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0068

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1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

100

der Eindringling Berthold anstiftete, schmählich
zu Grunde.11)

Ein Jahrhundert später erzählt Bischof
Philipp von Eichstätt (f 1322) in seiner Lebens-
beschreibung des hl. Willibald, es habe der hl.
Bonifazius dem Heiligen wie auch seinen Nach-
folgern die Stellvertreterschaft des Erzbischofs
von Mainz samt dem Vorrang vor allen andern
Suffraganen der Mainzer Metropole verliehen
und zum Ausdruck dessen ihn und seine Nach-
folger mit dem Rationale begabt.12) 1387 be-
gegnen uns drei rationalia in einem Inventar
des Domes zu Prag.13) Demselben XIV. Jahrh.
mag endlich auch noch ein Schatzverzeichnis
der Kathedrale zu Reims entstammen, in dem
von zwei Rationalien und drei zu deren Be-
festigung dienenden, silbervergoldeten, mit einer
grofsen Perle am oberen Ende verzierten Na-
deln die Rede ist.14)

Das sind die uns bekannt gewordenen haupt-
sächlichsten Stellen, in welchen vom Rationale die
Rede ist. Es erscheint in denselben als spezifisch
pontifikaler Schmuck15) und zwar als ein Ornat-
stück, das zu tragen nur auf Grund einer besonde-
ren päpstlichen Ermächtigung gestattet war. Frei-

n) Monachi Admunt. Vita Gebehardi n. 8. (M. G.
SS. XI, 39).

12; Vita S. Willibaldi c. 23; ed. Gretzer (Ingolstadii
1617) p. 89.

13) Bock »Geschichte« Bd. 2, S. 204.

M) Du Cange, Glossar, snb rationale (ed. Niort
1886) VII, 27. Ein Inventar von Vannes vom Jahre
1555 erwähnt ein „pectoral episcopal de drap d'or ä
un frange rouge de soye et d'or, double de taffetas
rouge" (Bullet, monum. 1877, p. 636 note 3). Es ist
unklar, was hier unter dem pectoral zu verstehen ist.
Vielleicht ist das bischöfliche Gremiale gemeint. Ein
Rationale ist auf keinen Fall darunter zu denken, da
dasselbe nie Pectorale hiefs und zudem für die Bi-
schöfe von Vannes sich der Gebrauch des Rationale
nicht nachweisen läfst. Das Rationale, welches uns in
der Historia episc. Autiss. c. 49 (Migne, P. 1.
CXXXVIII, 277) begegnet, bedeutet lediglich den
Brustbesatz einer Prachtalbe, die hier in etwas über-
schwenglichen Worten gefeiert wird. Mit dem uns
beschäftigenden Ornatstück hat es nichts zu tun. Wenn
es ebendort (Migne, 1. c. 278) heifst, das handbreite
Auriphrygium der Kasel habe das Bild des Superhu-
merales und Rationales nach Weise des erzbischöflichen
Palliums dargestellt, so sind unter dem Superhumerale
und Rationale die betreffenden Ornatstücke des leviti-
schen Hohenpriesters zu verstehen, nicht ein pontifikaler
Schmuck des christlichen Kultus. Über ein im Chron.
Mindense erwähntes Rationale des Bischofs von Minden
siehe unter III. (Sp. 112.)

15) Nur im Prager Inventar wird auch ein rationale
diaconale cum perlis et capitibus draconum erwähnt.

lieh mögen nicht alle Inhaber desselben eine aus-
drückliche Erlaubnis beim apostolischen Stuhle
nachgesucht, sondern sich mit einer stillschwei-
genden oder vorausgesetzten begnügt, oder wie
Adalbero von Metz, zu einer Privilegienmittei-
lung ihre Zuflucht genommen haben.10) Denn
tatsächlich war das Rationale, wie die Monu-
mente ergeben, mehr im Gebrauch, als es nach
den verhältnismäfsig wenig zahlreichen schrift-
lichen Nachrichten scheinen könnte. Immerhin
ist nicht aufser Acht zu lassen, dafs manche
Dokumente verloren gegangen sein werden und
was wir jetzt noch an Verleihungen des Ra-
tionales besitzen, nur ein Bruchteil der wirk-
lichen sein dürfte.17)

Um im übrigen die angeführten Stellen
richtig zu verstehen, mufs man ein doppeltes
Rationale unterscheiden: ein Rationale im Sinne
eines Brustschmuckes und ein Rationale im
Sinne einer palliumartigen Schulterbinde oder
eines Schulterkragens.

IL
Einen bischöflichen Brustschmuck stellte
das Rationale Gebhards von Salzburg dar,
von welchem der Admonter Mönch erzählt.
Der Bericht läfst daran keinen Zweifel. Auch
bei Ivo von Chartres bedeutet es einen
solchen. Denn nachdem derselbe den Brust-
schild des jüdischen Hohenpriesters, in der
Septuaginta logion, in der Vulgata rationale
judicii genannt, beschrieben, fügt er hinzu:
„Diesen Schmuck trug der Hohepriester allein,
wie es auch jetzt bei denjenigen, welchen sein
Gebrauch zugestanden ist, geschieht zur Kenn-
zeichnung des Abstandes der höheren und nie-
deren Priester." Das bischöfliche Rationale,
von dem Ivo spricht, mufs also ein in der
Form dem gleichnamigen aaronitischen Brust-
schild ähnliches Zierstück gewesen sein. Noch

16) Man darf nicht vergessen, dafs die Befugnisse
der Bischöfe hinsichtlich liturgischer Angelegenheiten
im Mittelalter infolge der Verhältnisse, namentlich
auch wegen des schwierigen Verkehres mit Rom be-
deutend weitere waren und sein mufsten, als es jetzt
der Fall ist. Doch war man bisweilen auch recht frei
in der Auslegung der eigenen Machtvollkommenheit.

n) Es ist bemerkenswert, dafs die Bullen, in Wel-
chen Innocenz II. die Bischöfe von Paderborn und
Lüttich mit dem Rationale auszeichnet, zum grofsen
Teil wörtlich übereinstimmen, so dafs ein bestimmtes
Formular fUr derartige Verleihungen bestanden haben
dürfte. Es scheinen dieselben demnach häufiger vor-
gekommen zu sein.
 
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