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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0060

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81

1904 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

82

Zur Darstellung des Nackten in der
IL

Was aber kann und darf nun die
christliche Kunst darstellen?

|s gibt Szenen, welche wohl der
Historiker und Dichter, doch nie
der Maler oder bildende Künstler
darstellen kann; viele aber gibt es,
welche auch ersteren darzustellen nie gestattet
werden kann und darf.

„Gut und fromm ist jedes Wissen,
.So es frommt den Menschenkindern,"
singt der Sänger von „Dreizehnlinden". Kehren
wir hier nochmals zu den Heiden zurück, so
weist uns zunächst Aristophanes in seinem
Werke: „Die Frösche", Richtung und Ziel.
Euripides: „Hab' etwa denn nicht nach wirklicher

Sag' ich das von der Fädra gedichtet?
Aeschylos: „Nach wirklicher, wohl; doch bergen ja
mufs Bösartiges, wer ein Poet ist,
„Und nicht vorziehen, noch zeigen dem
Volk. Denn sieh, unmündige Knäblein
„Zu verständigen, sind Lehrmeister bestellt;
den Erwachsenen aber die Dichter.
„Ja durchaus liegt Nutzbares reden uns ob.-

(V. 1051-54.)
Was hier von dem Dichter durch Ae-
schylos verlangt wird, das ist auch für den
Maler und jeden darstellenden Künstler Gesetz!
— Auch was das ästhetische Gefühl und das
allgemeine menschliche Empfinden verletzen
würde, mufs in den Kreis des Undarstellbaren
verwiesen werden. So zum Beispiel viele
jener schrecklichen Martyrien, durch die in
entmenschter Grausamkeit im Blute der Hei-
ligen berauschte Wüstlinge tausende und aber-
mals tausende jeden Alters und Geschlechtes
den leidensreichen Pfad hinauf zum Throne
Gottes sandten. Denn hier wird ein Grad des
Gräfslichen erreicht, den keines Meisters Hand
mehr bezwingt. Doch gibt es gerade bei den
Martyrien wiederum Szenen, welche zwar für
die Darstellung äufserst dankbar sind, aber
nahe an die Grenze des Nichtdarstellbaren
reichen. Hier bleibt Vorsicht geboten; hier
eben zeigt sich der Meister in der Wahrung
des Schicklichen. Man vergesse in solchem
Falle nie Goethes Vorgehen und frage sich
ernstlich, ob eine der genannten Heiligen gleich
lilienreine Jungfrau, das Bild ohne zu erröten,
wohl betrachten dürfte! Gerade ihm, dem
grofsen Altmeister mufs sich das Verlangen der

bildenden Kunst und die Modellfrage.

alten nach „Schicklichkeit" tief in die Seele
eingegraben haben; sagt er doch im Tasso:

.Ein einzig Wort: Erlaubt ist, was sich ziemt."

(V. 257.)
. Willst du genau erfahren, was sich ziemt, (V. 264.)
„So frage nur bei edeln Krauen an.'

(II. Aufz., 1. Auftr.)

Hier mufs der Künstler mit angeborenem
und anerzogenem feinem Empfinden prüfen,
ob er befähigt ist, den Gegenstand so zu durch-
geistigen, dafs er, wie Schiller es in seinem
„Archimedes und der Schüler" ausspricht, den
Beschauer-gleichsam zwingt, die Göttin zu
erschauen, doch nicht in ihr das Weib. —
Diese Höhe der Kunst haben die Alten in
ewig mustergültiger Weise zu erreichen ver-
mocht. Und so ungeduldig der Geist nach Fort-
schritt drängt, sagt Ernst Curtius,9) eine gesunde
Fortentwickelung ist nicht möglich, wenn wir
das Vermächtnis des Altertums von uns weisen";
hören und beachten wir sie darum, denn:10)

„Nicht allein der scharfe Stachel,
.Süfser Seim auch ward den Bienen:
„Meiden wir das Gift des einen,
.Mufs uns doch der andere dienen."

Über die Weise, wie dies geschehen und
noch heute zu ermöglichen ist, fehlt es uns,
Gott sei's gedankt, nicht an den erforderlichen
Hinweisen. Die Beschreibungen und Bespre-
chungen von Zeitgenossen und Augenzeugen
sind hier zu wertvoll, als dafs wir sie nicht
näher erörtern sollten. Einerseits erkennen wir
daraus die unvergleichliche Schönheit dieser
Werke, andererseits vernehmen wir, wie, wodurch,
auf welchem Wege man das anzustrebende
Ziel erreicht hat. Greifen wir aus vielem sofort
das Vollendetste aber auch das Bedenklichste
heraus. — Die griechische Anthologie bewahrt
uns ein Epigramm des Antipatros (B. V.) auf
die Anadyomene des Apelles, welches lautet:

.Die von der Mutler soeben, der See, auftauchende

Kypris,
„Sieh des Apelles Werk, welches der Pinsel erschuf
.Wie mit der Hand sie das Haar, durchnäfst vom

Wasser, gefafst hat,
„Und den gefeuchteten Schaum so aus den Locken
sich drückt.
.Selbst nun werden sie sagen, Athene sowohl als Here
.Nicht um die Schönheit mehr gehn wir zum
Streite mit dir."

9) .Die Kunst der Hellenen«. Rede vom 13. März

1853.

">) .Dreizehnlinden«. XIV. 1. (sub. fin.)
 
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