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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Halm, Philipp Maria: Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters, [2]: Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0119

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179

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. ü.

180

Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters.
Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae.

(Mit 8 Abbildungen.)

II.

in treffliches Analogon zu den
Brixener Bildern bietet sich uns
in den Türen des Nordportals der
Stiftskirche in Altötting, die erst
jüngst durch Hager eine eingehende Würdi-
gung und Erklärung gefunden haben.1) Wenn-
gleich diese Türen bereits der Frührenaissance
sich zuneigen, so verharrt ihr symbolischer
Bilderschmuck noch ganz in der Anschauung
des Mittelalters.

Die Altöttinger Türflügel (Abb. 1) geben
in ihrer unteren Hälfte in je vier rautenförmigen
Feldern die Reliefbrustbilder der vier grofsen
Propheten und ihnen entsprechend jene der vier
grofsen Kirchenväter mit den Evangelistensym-
bolen, also „die Träger der alt- und neutesta-
mentlichen Offenbarung und Heilslehre". Die
obere Hälfte zieren vier Hochrelieffiguren der
Patrone des Hochaltars und der Titelheiligen der
Kirche, die Jungfrau Maria, St. Ursula, St.
Philippus und St. Jakobus. In die verschie-
denen Zwickelfüllungen sind Drolerien gesetzt,
sechs der Füllungen aber enthalten „symbo-
lische Tierbilder, die sich auf das Geheimnis
der jungfräulichen Mutterschaft Maria beziehen,
wodurch Maria als Hauptfigur hervorgehoben
wird". Die sechs Symbole sind der Pelikan, der
Phönix, der Löwe, der Bär, der Straufs und
das Einhorn. Für das Einhorn bietet sich uns
in Brixen keine Parallele, wohl aber auf dem
Schleifsheimer Bild. Dieses gibt auch die Er-
klärung:

Si unicornus in sinu virginis domatur,
Cur deus in utero Mariae non humiliatur.

Eine andere häufigere Form, die wir einer
Handschrift der Münchener Hof- und Staats-
bibliothek (cod. lat 18077) entnehmen, lautet:
Rynoceron si virgini se inclinare valet,
Cur verbum patris celi (auch celici) virgo non generaret.

J) v. Bezold, Riehl u. Hager, >Die Kunst-
denkmale des Königreichs Bayern« I. S. '_'3-lli und
2645. Ohne irgend Kenntnis von den dort bei-
gezogenen Untersuchungen Walcheggers Über die
Malereien des ..Kreuzganges am Dom zu Brixen"
(1895) zu besitzen, erkannte ich gleichfalls gelegent-
lich einer Studienreise im August 1903 die betreffen-
den Zwickelbilder im Domkreuzgang zu Brixen als
einen Schlüssel zur Erklärung der sechs symbolischen
Darstellungen auf den Altöttinger Türen.

Die Darstellung dieses Symbols beschränkt
sich in Altötting aus räumlichen Gründen
auf das Einhorn allein ohne die Jungfrau.
Dieselbe Ursache liefs wohl auch bei dem
Straufs die Sonne, die die Eier ausbrüten soll,
in Wegfall kommen. Zwar hat der Vogel
gar keine Ähnlichkeit mit einem Straufs, doch
kann man dies schliesslich auf die Unkenntnis
des Künstlers, dem dieser Vogel jedenfalls
fremd war, setzen. Erblicken wir in dem
Vogel wirklich einen Straufs, so würde das
Bild aber auch ohne die Sonne sich sehr wohl
deuten lassen durch eine Stelle in Konrads
von Würzburg „Goldener Schmiede" (ed. Grimm
Vers 528). „Mit der gesihte kan der struz sin
eier schöne brüeten". Dies letztere Bild läfst sich
den seltsamen Erzeugungsgleichnissen sehr wohl
angliedern, und in der starken Neigung des
Kopfes des Vogels nach dem Nest auf der
Altöttinger Darstellung erscheint die Deutung
nach dieser Anschauung nicht ganz ausge-
schlossen, umsomehr als eine verwandte Dar-
stellung in Osnabrück (s. u.) wiederkehrt. Auch
dort fehlt die Sonne, die Gestalt des Straufs
ist aber überraschend charakteristisch gebildet.
Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, dafs
die Symbole auf die Jungfräulichkeit der Mutter
Christi hinzielen; an einem Orte so hervor-
ragender Marienverehrung wie Altötting liegt die
bildliche Verkörperung des Themas ohnedies sehr
nahe. Hager erblickt mit Recht in den Darstel-
lungen der Geburt Christi und der Anbetung
der Könige auf den Flügeln des Südportals der
Altöttinger Stiftskirche eine Fortsetzung des
auf den Flügeln des Nordportals angeschlagenen
Themas und nennt beide Türen „ein schönes
und interessantes Beispiel der tiefsinnigen
christlichen Symbolik des Kirchenportals". Noch
sinniger, reicher und monumentaler behandelt
denselben Stoff das Prachtportal der Westfassade
von St. Lorenz in Nürnberg. Gegenüber den Alt-
öttinger Türen wird hier Maria als die Haupt-
figur schon dadurch besonders hervorgehoben,
dafs sie in die Mitte der ganzen Portalanlage
gerückt wurde. Sie bildet den Schmuck
des Mittelpfeilers, „die Stütze der Doppeltüre
gleichsam der ganzen Kirche", sagt sehr tref-
fend Rettberg.2) Über den Sturzbalken der beiden

') »Nürnbergs Kunstleben« (1854) S. 20.
 
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