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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0175

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273

1904.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

274

Bücherschau.

Über die soeben vollendete XII. Auflage von
Lübkes Grundriß der Kunstgeschichte, Stutt-
gart, Paul Neff Verlag (Karl Büchle), deren 3 erste
Bände in dieser Zeitschrift (Bd. XIII, Sp. 280 u. 346;
Bd. XVI, Sp. 252) bereits besprochen wurden, geht uns
folgendes Gesamtreferat zu. Demselben möge die
Notiz vorangehen, daß der Gesamtpreis für die
fünf, in dunkelblaue Leinwand schön und solid ge-
bundenen, mit Goldtitel und je einer die betreffende
Periode charakterisierender Goldfigur geschmückten
Bände 45 Mark beträgt. D. R

Kein anderes Werk hat wie Lübkes Kunstge-
schichte so viel dazu beigetragen, in den letzten vier
Jahrzehnten den Sinn für die Kunst in den breiten
Massen des Volks zu wecken und auszubilden. Wil-
helm Lübke war der ersten einer, die den modernen
Kampfruf: „Die Kunst dem Volke !" erklingen ließen,
und tausende und abertausende sind ihm gefolgt.
Nicht leicht eine andere populäre Kunstgeschichte ist
so geeignet, Sinn und Liebe zur Kunst zu fördern,
Verständnis und Urteil zu bilden, wie sein Grundriß.
Als Lübkes Hand die Feder entfiel, nahm sie ein
geistesverwandter jüngerer Gelehrter auf, Professor
Dr. Max Semrau in Breslau, und nach siebenjähriger
Arbeit liegt nunmehr das schöne Werk von 530 Seiten,
entsprechend dem immensen zu Tage geförderten
neuen Material auf 2242 Seiten angewachsen, in fünf
stattlichen Bänden als Quintessenz der jetzigen Kunst-
forschung vor uns. Jeder derselben bildet ein
für sich abgeschlossenes Ganzes. Die enorm
verfeinerte Reproduktionstechnik hat es ermöglicht,
dem Auge früher in dieser Form unerreichbare Ge-
nüsse zu bieten durch 2027 Abbildungen und 30 zum
größten Teil bunte Tafeln. Die 11. Auflage enthielt
deren nur 706, also etwa den dritten Teil der
jetzigen, und einen einzigen bescheidenen Lichtdruck-

Wir leben wieder in einer Zeit, wo infolge der
Früchte großer, durch langen Frieden geförderter,
erfolgreicher gewerblicher Tätigkeit die bildenden
Künste allgemein gewürdigt werden, wo das Kunst-
gewerbe in einer Blüte steht, wie seit Jahrhunderten
nicht mehr, und wo viele, Berufene und Unberufene
sich drängen, künstlerisch tätig zu sein, mitzuraten
und mitzutaten. Will man aber das, dann braucht
man eine gute Grundlage, einen tüchtigen Führer,
der mit begeistertem Herzen und reifem künstlerischen
Können lehrt, wie die Kunst entstand, seit Jahr-
tausenden ein präziser Gradmesser für die Kultur und
geistige Kraft der Völker war. Ein solcher Führer
ist der Grundriß der Kunstgeschichte. In prägnanter,
nur das notwendigste berücksichtigender und alle
Perioden gleichmäßig behandelnder Darstellung
zieht die Welt der Kunst von dem ersten Stammeln
der vorgeschichtlichen Völker bis zu den raffinierten
modernen Naturalisten an uns vorüber, das künst-
lerische Schaffen aller Zeiten wird mit großer Liebe
und wissenschaftlicher Sachlichkeit berücksichtigt.
Die alten Ägypter und die Werke der Assyrer nach
dem Stand der neuesten Ausgrabungen und Forschun-
gen, die mexikanischen, hebräischen, indischen und
chinesischen Bauten, wie vor allem in breitester Dar-

stellung die glänzenden Zeiten der klassischen Kunst
der Griechen und Römer, sind vorgeführt. Dann die
feierlichen Mosaiks der altchristlichen Kunst und die
Malereien der Katakomben. Es werden behandelt
die Kunst des Islam, die Moscheen und Kalifengräber
samt den Resten der maurischen Kunst in Spanien
in ihrer wunderbaren, phantastischen Pracht. Alt-
nordische und karolingische Kunstreste kommen an
die Reihe, begleitet von jenen steifen, bildlichen
Darstellungen biblischer Personen und Vorgänge.
Wir sehen die wuchtigen Kunstdenkmale der roma-
nischen Epoche, die Zeit der Gotik, welche durch
charakteristische Abbildungen in ihren schönsten Wer-
ken dem Kunstfreund vorgeführt wird. Es ersteht
vor uns die goldne Zeit der Renaissance, das Wieder-
erwachen der Persönlichkeit. Der Stoff ist gegliedert
in die Architektur der Renaissance in Italien, Frank-
reich. Spanien und Portugal, England, den Nord-
ländern, Dänemark und Skandinavien, in Deutschland
und den östlichen Ländern. Diesen Abschnitten folgt
die Darstellung der Bildnerei und Malerei Italiens im
XV. und XVI. Jahrh. Wir lernen die Werke eines
Michelangelo, Rafläel, Lionardo, Tizian kennen, wie
die bildende Kunst außerhalb Italiens, vor allem
unsere großen Deutschen Dürer und Holbein. Diesen
gloriosen Zeiten folgt als Nachblüte der Barock.
Bei dem Kunstschaffen des Bernini, Rembrandt,
Rubens, Murillo und Velasquez zeigt uns der Ver-
fasser, wie diese Zeit mit der voraufgegangenen riva-
lisiert. Er leitet dann, unterstützt durch instruktive
Abbildungen, über zu der heiteren Ausdrucksweise
des Rokoko, das mit seinen geistreichen Pikanterien
so recht den Geist der Zeit widerspiegelt und in
seinen graziösen Formen hauptsächlich im Dienste des
Kunstgewerbes und beim Schmuck der Schlösser zum
Ausdruck gelangt. Der letzte, fünfte Band, „Die
Kunst des XIX, Jahrhunderts", bearbeitet von Privat-
dozent Dr. Haack, Erlangen, gibt unter kluger Aus-
wahl aus dem riesigen Stoff ein den ersten Bänden
sich würdig anreihendes Bild dieser Zeit. Alle die
vielen Schulen, Techniken und Zeitauswüchse kommen
in den Abteilungen: Klassizismus, Romantik, Re-
naissancismus und der sogenannten Moderne zum Aus-
druck; wir lernen sie alle kennen, die Dichter in
Licht, Farbe, Erz und Stein des letzten Jahrhunderts,
die Delaroche, Meissonier, Schwind, Richter, die
Düsseldorfer Schule in ihrer Glanzzeit, dann Piloty,
Feuerbach, Böcklin, Menzel und die Künstler der
neueren Zeit, „die Modernen" Milett, Manet, Rops,
Segantini, Israels, Liebermann, Uhde, Stuck, Rodin,
Bartholome u. a. m., nicht zu vergessen der Meister
des Kunstgewerbes Morris, Crane, Olbrich, Behrens,
Pankok u.s. f.

Mit großem Geschick haben die Verfasser das
gewaltige Material verwertet und man hat immer den
Eindruck, daß sie in die Tiefe drangen und des ganzen
Stoffes Meister sind. Ein hoher Vorzug des ganzen
Werkes ist die überquellende Fülle charakteristischer
und technisch wohlgelungener Reproduktionen und
ein sicheres, persönliches Urteil, das bescheiden hinter
dem Kunstwerk zurücktritt.
 
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