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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Braun, Joseph: Die Paramente im Schatz der Schwestern U. L. Frau zu Namur
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0194

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291

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

292

handenen mit Malereien geschmückten mittel-
alterlichen Mitren, von denen sich die eine
im Cluny-Museum, die andere in der Stadt-
bibliothek zu Amiens befindet, sind ganz nach
Art einer Tuschzeichnung in Schwarz bemalt.
Sie waren allem Anschein nach zum Gebrauch
bei Exequien, Anniversarien und ähnlichem
bestimmt. Die Mitra im Cluny-Museum mag
dem Beginn des XV. Jahrh. angehören und
ist eine vorzügliche Arbeit. (Abb. 2.) Sie
ist um den unteren Rand herum mit den
Halbbildern der Apostel, auf den Schilden aber,
denen der Mittelstreifen fehlt, mit den Dar-
stellungen des Begräbnisses und der Auf-
erstehung des Herrn versehen. Die Mitra in der
Stadtbibliothek zu Amiens,8) welche aus der
Ste. Chapelle zu Paris stammt, ist um fast ein
Jahrhundert jünger und weit schlichler. Um
den unteren Rand zieht sich eine Reihe derber
Rosetten, den Schild füllen eine Kreuzigung
und das Weltgericht. Die Behänge, die bei
der Mitra des Cluny-Museums mit den Bildern
Marias und des Donators verziert sind, ent-
halten bei der Mitra zu Amiens Maria bezw.
den Engel der Verkündigung. Hier wie dort
aber stehen die Figuren unter gotischen
Architekturen. Vergleicht man die Zahl der
noch vorhandenen bemalten Mitren aus dem
Mittelalter mit derjenigen der überhaupt er-
haltenen mittelalterlichen Mitren, so könnte
es scheinen, als ob Mitren jener Art nicht
allzuselten gewesen seien. Nichtsdestoweniger
darf man wohl ohne Bedenken das Gegenteil
annehmen. Es wird Zufall sein, daß von den
bemalten Mitren aus dem Mittelalter verhält-
nismäßig so viele auf uns gekommen sind.
In den Inventaren ist kaum jemals und nur
ganz vereinzelt von ihnen die Rede. So heißt
es in einem Inventar Karls des V. von Frank-
reich: Une mitre de taffetas ou de satin blancq
paincte ä Tun des lez de la Passion et ä l'autre
lez du Jugement.4) Eine andere wird in dem
Schatzverzeichnis der Kapelle Philippis des
Kühnen aus dem Jahre 1401 erwähnt: Une
mitre de satin blanc paincturde de noir ä
ymaiges.5) Das Mittelalter war sehr weitherzig

geben, deren Besätze aus bemalten Pergamentstreifen
bestehen. Diese Angabe ist jedoch durchaus irrig.
Über die Mitren zu Anagni vgl. Jahrgang 1902 Sp. 10f.
dieser Zeitschrift.

3) Abb. bei L. de Farcy, »La broderie du XIe
siecle jusqu'ä nos jours«, suppl. pl. 158.

') De Farcy, iLa Broderie« p. 68.

6)Dehaisnes, »L'art dans laFlandre«, Doc. p.834.

in bezug auf Ausstattung und Verzierung der
Paramente und das dazu verwendete Material.
Alles, was diesen Zwecken dienen konnte,
wurde herangezogen. Wie die Mitra zu Namur
zeigt, verschmähte man es nicht einmal, anstatt
gewebter oder gestickter Borden Besätze aus
bemaltem Pergament der Mitra aufzusetzen
und selbst die Behänge mit einer mit Miniaturen
geschmückten Auflage aus Pergament zu ver-
sehen. Die Mitra soll von dem berühmten
Kardinaibischof von Frascati, Jakob von Vitry
herrühren. Augustiner im Kloster Oignies
bei Dinant, wurde er 1214 zum Bischof von
Akkon gewählt und empfing 121 li durch
HonoriusIII. die Bischofsweihe. 1225 resignierte
er auf sein Bistum und kehrte nach Oignies
zurück, begab sich aber, als 1227 sein Freund
Kardinal Hugo von Ostia als Gregor IV. den
päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, nach Rom,
wo er zum Kardinalbischof von Frascati er-
nannt wurde. Jakob von Vitry starb 1241 zu
Rom, sein Leichnam aber wurde nach Oignies
gebracht, um dort seine letzte Ruhestätte zu
finden. Ausdrückliche geschichtliche Zeug-
nisse, welche die Mitra als von Jakob von
Vitry herstammend bezeugen, liegen unseres
Wissens nicht vor. Immerhin paßt dieselbe
gut in die letzte Lebenszeit des Kardinals.
Auch würde die Beziehung zu diesem es am
einfachsten erklären, warum man die Mitra
aufbewahrt hat. Außerdem ist zu beachten,
daß das Augustinerpriorat zu Oignies erst
1187 gegründet wurde, seine Prälaten also
schwerlich schon in der ersten Hälfte des
XIII. Jahrh. das Recht erhalten hatten, die
Mitra zu tragen, wenn sie überhaupt jemals
dasselbe besaßen. Aus dem Kloster selbst
kann demnach die Mitra nicht stammen, ein
Umstand, der ebenfalls der Annahme, welche
sie von Jakob von Vitry herleitet, ersichtlich
günstig ist. Ob sie, wenn von diesem her-
rührend, nach Oignies gekommen ist, als er aus
Palästina zurückkehrte,0) oder erst nach seinem
Tode, muß ganz dahin gestellt bleiben. Jeden-
falls ist sie nicht orientalischen Ursprungs,
vielmehr weist der Stil der Malereien, die sehr
an die gleichzeitigen nordfranzösischen Mi-
niaturen erinnern, am ehesten auf eine Werk-
stätte Nordfrankreichs hin.

Die zweite Mitra (Abb. 3) im Schatze der
Schwestern U. L. Frau zu Namur ist aus
weißer Seide angefertigt und mit Goldstickereien

6) So de Farcy, »La Broderie« p. 67.
 
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