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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Braun, Joseph: Die Paramente im Schatz der Schwestern U. L. Frau zu Namur
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0197

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297

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 10.

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zwischen den beiden Schilden mit aufge-
stickten goldenen Halbmöndchen bestreut ist.
Die Mitra im Schatz zu Sens hat wie
die beiden anderen auf einem der Schilde
die Darstellung des Martyriums des hl. Tho-
mas von Kanterbury, auf dem zweiten wie
die Münchener die der Steinigung des hl.
Stephanus. Auch hier keine sklavischen Ko-
pien. Von den drei Mördern des hl. Thomas
hat der erste dem Heiligen den Todesstreich
versetzt, der zweite hält das gezückte Schwert
in die Höhe, der dritte zieht dasselbe aus der
Scheide. Im übrigen ist die Szene nach Stil,
Kompositon und Auffassung wesentlich die-
selbe wie auf der Namurer und Münchener
Mitra. Die Steinigung des hl. Stephanus ist
eine vereinfachte Wiedergabe der gleichen
Darstellung auf der
Mitra zu München.
Es sind von den fünf
Figuren, welche hier
dem Schild aufge-
steckt sind, St. Ste-
phanus, drei Steiniger
und eine obrigkeit-
liche, auf einemThron
sitzende Person, nur
drei kopiert, St. Ste-
phanus und die bei-
den ersten Steiniger;
die beiden anderen
sind fortgelassen, da-
für ist aber, um den Raum zu füllen, nicht bloß
hinter St. Stephanus, sondern auch in der
gegenüberliegenden Ecke ein stilisierten Baum
angebracht.

Bei der Mitra im Domschatz zu Sens hat
sich der Circulus, eine der bekannten Gold-
borden des XIIl. Jahrh., noch erhalten. Da-
gegen sind die Behänge, welche vor der
Revolution noch vorhanden waren, auch bei
ihr gegenwärtig verschwunden. Sie waren
einer Beschreibung aus dem XVIII. Jahrh.
zufolge unten mit einer figürlichen Darstel-
lung, darüber aber mit Lilien, Möndchen und
Rankenwerk bestickt.9) Die Verbindungs-
stücke der Schilde sind mit Möndchen besät.

Die Beschreibung der Mitren dürfte in Ver-
bindung mit den Abbildungen genügen, um zu
beweisen, daß dieselben zweifellos aus einer

Abb. 3.

9J Chartraire, »Inventaire du Tresor de I'eglise
primatiale de Sens« (Sens 1897) p. 49, wo sich auch
eine skizzenhafte Abbildung der Mitra findet.

Werkstätte hervorgegangen sind. Die Über-
einstimmung in den Darstellungen, die man
den Schilden aufgestickt hat, und in dem
übrigen Ornament ist bei allen Abweichungen
im einzelnen so frappant, daß man notwendig
eine gemeinsame Herkunft annehmen muß,
und zwar scheint es, daß die Mitren nicht
sowohl auf bestimmte Bestellungen, als viel-
mehr für den Handel hergestellt wurden, weil
sich so die Wiederholung der gleichen Dar-
stellungen und ornamentalen Motive auf ihnen
am natürlichsten erklärt.

Übrigens gibt es noch eine Anzahl anderer
Paramente aus dem Beginn des XIIL Jahrh.,
welche zur Familie der drei Mitren gehören
und wenn nicht aus denselben Händen, so
doch demselben Industriebezirke entstammen

werden. Beim Stu-
dium der drei Mitren
entdeckt man näm-
lich bald auf ihnen
zwei ganz charakte-
ristische ornamentale
Motive, die goldge-
stickten Möndchen
und das goldgestickte
den freien Raum in
den Ecken ausfül-
lendeRankenwerk mit
seinen eigenartigen,
dreiteiligen, aus zwei
geschweiften Seiten-
lappen und einem runden oder birnförmigen
mittleren Knauf bestehenden Blättern, in welche
die Spitzen der Zweige auslaufen.I0) Diese
Möndchen wie das Blattwerk finden wir nun,
und zwar in völlig gleicher Technik und auch
mit gleichem Material ausgeführt, auf einer
Anzahl anderer Paramente aus dem Ende des
XII. und der ersten Hälfte des XIIL Jahrh.
Wir werden daher schwerlich fehlgehen, wenn
wir auch diese dem Industriebezirk zuweisen,
aus dem die Mitren zu Namur, Sens und
München hervorgegangen sind.

10) Bei den Miniaturen aus der Wende des XII.
und der Frühe des XIII. Jahrh. kommt diese Art
von lilienförmigen Blaitwerks äußerst selten vor und
auch dann immer bloß als ganz vereinzelte, mehr
zufällige als beabsichtigte Erscheinung. Wohl fehlt
es auf ihnen keineswegs an Rankenwerk, wie
bel-annt, namentlich nicht bei den Initialen aus jener
Zeit, und diesem Rankenwerk mangelt ebensowenig
mehr oder minder reich ausgebildetes Blattwerk,
allein dessen Formen sind rcgelmäüig runder, voller
und weit weniger geschweift.
 
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