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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Falke, Otto von: Wiener Grubenschmelz des XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0215

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327

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

328

lieh die größte Mühe gegeben, dem Stil des
Nicolaus von Verdun sich anzupassen: So
hat er die für sein Vorbild so kennzeichnende
scharfe Muskulaturzeichnung peinlich nach-
geahmt, freilich schwächlich und unsicher,13)
und auch den energischen Ausdruck der
Nicolausfiguren hat er mehrfach herauszu-
bringen versucht. Während er aber in den
Schmelzfarben dem
Original sehr nahe
kam, konnte er als
Zeichner aus seiner
gotischen Haut nicht
heraus; überall, na-
mentlich in der Fal-
tenbildung,dem stark
gewellten Schwung
der Locken, dem
Blattwerk der Bäu-
me u) kommt der
Gotiker zum Vor-
schein.

Die Ergänzung des
Altars war nicht auf
diesechsgroßen Bild-
platten beschränkt.
Sie erforderte —
durch die Dreiteilung
des Mittelstücks —
noch die Zutat von
zwölf Zwickelplatten
mit den Brustbildern
von Engeln, Tugen-
den und Propheten,
ebensoviel Schmelz-
täfelchen mit je zwei
Säulen auf marmo-
riertem Emailgrund,
und sechzehn Stück
Emailstreifen mit
geometrischen Mustern
der Klecblattbogen.15)

Das alles zusammen ist eine ganz be-
trächtliche Arbeitsleistung des Wiener Gold-

Abbildung 2.

für die Umrahmung

13) Das ist besonders deutlich zu sehen Drexler-
Strommer, Taf. 28.

'*) Drexler-Strommer, Taf. 22, 28.

lf) Die gotischen Zutaten sind zu sehen auf den
Tafeln (Drexler-Strommer) 19-21, 22—24,
28—30, 31—33. Die Säulen sind an den unklar
kopierten Kapitellen und den kugelförmigen Basen
sehr leicht zu erkennen, die geometrischen Ornamente
etwas schwerer an der weniger reinen Zeichnung.

Schmieds, lc) und man muß angesichts des
Resultats zugeben, er hat eine Schule in
der romanischen Technik des Gruben-
schmelzes durchgemacht, wie wohl kein
anderer seiner Zeitgenossen.

Darin liegt die Erklärung für das unver-
mittelte Auftauchen des sonst abgestorbenen
Grubenschmelzverfahrens in Wien.

Denn daß unser
Künstler den Lehr-
gang bei dem größten
Goldschmied des
XII. Jahrh. weiterhin
nicht ungenützt ge-
lassen hat, das zeigen
eben das Kloster-
neuburger Ciborium
und die damit ver-
wandten Stücke. Auf
diesen finden wir in
selbständiger Ver-
wendung wieder, was
er amVerduner Altar
als Nachahmer geübt
hat: den opaken,
auf blau und rot be-
schränktenG ru b e n-
schmelz, bei dem
die Figuren vergoldet
auf blauem Schmelz-
grund ausgespart und
die sorgfältig gra-
vierte Innenzeich-
nung nebst den Fal-
ten wieder rot oder
blau ausgeschmol-
zen ist.

Im Stil der Zeich-
nung sind keine Spu-
ren des romanischen
Vorbildes vorhanden. Hier tritt der Künstler,
sehr zum Vorteil seiner Arbeiten, ganz als
Kind seiner Zeit auf, beeinflußt durch die
feine Kunst der silbernen Tiefschnittemails
französischer Herkunft, die damals auch in
Deutschland Nachahmer zu finden anfing.
Nur an einer Stelle ist auch in der Zeich-
nung ein sehr beachtenswerter Zusammenhang
festzustellen: Der Judaskuß ist sowohl am

i'>) Er hat sich dazu freilich Zeit gelassen, denn
der Altar blieb so lange in Wien, daß die Kloster-
neuburger Weinbauern dem Propst Stephan vorwarfen,
er habe die Tafel bei den Juden versetzt.
 
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