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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Schnütgen, Alexander: Frühgotische Holzstatuetten vom Mittelrhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0185

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Abhandlungen.

Erühgotische Holzstatuetten vom
Mittelrhein.

• £fe (Mit 2 Abbildungen Tafel X,
"~~ i aus dem XVI. Kölner Jahres-
bericht Abbildung 6 und 7.)

5.irka 30 Jahre besitze ich bereits
|- die beiden hier abgebildeten
Figuren, zu denen noch eine dritte
derselben Serie hinzukommt. Die-
selben wurden mir von einem Bop-
;;; parder Antiquar zugeschickt, der
fc sie in einem benachbarten Kelter-
hause (früher Kapelle) entdeckt
hatte. Ein nachträglich dort noch
sich ergebendes Blattkrabben-Frontispiz der-
selben Ursprungszeit bestätigte nicht nur den
Fundbericht, sondern auch die Vermutung,
daß es sich um die Überreste eines kleinen
überaus feinen Retabels handelte, das aus
etwasieben Nischenfiguren sich zusammensetzte.
—- Da die Nachforschungen nach den weiteren
Figuren leider vergeblich geblieben sind, er-
scheint um so wichtiger das Vorhandensein
der 3 geretteten. Daß ihnen von vorherein
ein besonderer Wert beigelegt wurde, beweist
auch die an ihnen, wenn auch nur spärlich,
erhaltene Bemalung. Beim Untergewand be-
schränkte sie sich auf Glanzvergoldung auf
ganz dünnem Kreidegrund, während der Mantel
mit einem intensiven Rot in Lasurbehand-
lung überstrichen ist, um ein überaus feines
Golddessin, als Nachahmung eines Gewebe-
musters, aufzunehmen. Bei einer Statuette
besteht dasselbe in durch Punktreihen ge-
schiedenen Rauten, die als Füllmotiv einen
zierlichen Vierpaß haben, bei einer anderen in
je vier spitzigen, mit zarten Ranken gefüllten
Vierpässen, die um einen phantastischen Vogel
ein Sechseck bilden. Zu der gerade in der
Früh- und Hochgotik so beliebten Polychromie,
von der nur so weniges sich erhalten hat, bieten
diese beiden Musterungen, die den innigen
Zusammenhang mit den deutschen Webestoffen
dokumentieren, einen kostbaren Beitrag. —
Noch kostbarer sind die in Eichenholz nur
mit dem Meißel behandelten Figuren von
36 cm Höhe, heilige Jungfrauen darstellend,
die nicht näher zu bestimmen sind, weil ihnen,

(außer dem Buch in einer Hand) die Attribute
abhanden gekommen sind, zumeist mit den
Vorderarmen bezw. Händen. Vom Schleier
abgesehen, der bei einer derselben nicht zur
Verwendung gelangte, sind sie gleich kostümiert
mit über die Füße fallenden, nur die Spitze
von je einem derselben freilassenden Kleide,
und mit über dasselbe gelegtem Mantel. Trotz
dieser Ähnlichkeit zeichnet sie nicht nur in
der Bewegung und im Gesichtsausdruck, eine
große, vornehmlich durch den Wurf des Man-
tels bewirkte Verschiedenheit aus. Überaus
graziös ist die Haltung der schlanken Figuren,
ungemein elegant, trotz größter Einfachheit,
ihre Faltengebung. Daß es dem Künstler
gelungen ist, in ganz zwangloser Art und mit
den bescheidensten Mitteln, in vollendeter
Technik diese geradezu entzückende Wirkung
zu erreichen, erfüllt für ihn mit wahrer Be-
wunderung. Die schmal bis zu acht Kopf-
längen aufschießenden Figuren machen trotz
ihrer geschmeidigen Bewegungen einen sehr
frommen, züchtigen Eindruck, so daß die ernsten
Köpfchen mit den etwas träumerischen Augen
vollkommen passen in den ganzen Vorstellungs-
kreis. So dünn der Mantel in der ganzen
Veranlagung ist, er hebt sich, dank dem Kon-
trastbestreben, deutlich von dem Untergrund
ab, in dem der Körper in seiner Struktur zur
Geltung kommt, markiert durch die tiefen
Faltenlagen, die den schmiegsamen Gebilden
einen großen plastischen Zug verleihen.

Angesichts der ganz ungewöhnlichen Vor-
züge dieser Figuren ist schon öfters die
Frage nach ihrer Heimat gestellt worden. Am
nächsten liegt es, sie mit den Perlen amStraßburger
Münster in Verbindung zu bringen. Daß sie
von dort beeinflußt sind, wird auch kaum zu
bezweifeln sein. Dennoch zeichnet sie vor den-
selben eine größere Einfachheit aus, ein minder
gesuchter Typus, ein vollständiger Verzicht auf
Zwang und Manieriertheit. Im Anschluß an
einige frühgotische Glasgemälde in seinem Mu-
seum scheint von Falke sie gern mit Köln in
Verbindung zu bringen. Es dürfte jedoch kein
zwingender Grund vorliegen, sie dem Mittelrheih
vorzuenthalten, wo (Boppard, Oberwesel etc.)
es an tüchtigen Plastikern kurz vor und nach
1300 offenbar nicht fehlte. Schnütgen.
 
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