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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bone, Karl: Grenzen der christlichen Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0213

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1907.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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ausmacht und ausmachen muß und ohne was sie
daher bei noch so energischer Wiederbelebung
nicht nur unanschaulich, sondern künstlerisch
öde bleiben würde. Zunächst ist das für die
christlich-kirchlichen Kunstwerke der Fall.

Ort für diese christlich-kirchlichen Kunst-
werke sind zunächst alle öffentlichen oder
privaten Gebäude und Räumlichkeiten, in denen
der christliche Kultus geübt wird, also nicht
allein die Kirchen und Kapellen, sondern auch
der Kirchhof, das Haus, insbesondere das
Schlafzimmer, ebenso Örtlichkeiten im Freien,
an denen etwa ein Gebet (Stoßgebet u. a.)
gesprochen werden soll, wie Stationsbilder,
Wegkreuze, St. Nepomukbilder auf Brücken
usw. Dementsprechend untersteht ein einsames
Kreuz in der Wildnis, das die Stätte eines
Unglücksfalles bezeichnen soll, den nämlichen
traditionellen Anschauungen wie das Missions-
kreuz oder das Kruzifix auf dem Altare. Von
den genannten Örtlichkeiten führt das Haus
am meisten aus dem eigentlich kirchlich-
christlichen Gebiete hinaus in das profane,
aber darum keineswegs dem christlichen Geiste
fremde Leben.

Und so geht auch die christliche Kunst
als solche in ihrer Betätigung über das Schaffen
von Kultus- und Andachtsbildern hinaus, und
was sie in dieser Ausdehnung schafft, übt
seine Rückwirkungen auf die Entwicklung der
christlichen Kunst und kann darum für diese
nicht gleichgültig sein. Solche Schöpfungen
bringt sie nicht etwa erst neuerdings hervor,
sondern von alten Zeiten her. Das ganze Ge-
biet der christlichen Ideen und Anschauungen
sind ihr Feld, und wo immer in einem Kunst-
werke eine christliche Idee, mag sie erst mit
dem Christentum aufgetreten oder als ihm kon-
form darin aufgenommen worden sein, in den
Vordergrund tritt, ja sich nur irgendwie geltend
macht, da kann der Urheber als christlicher
oder nichtchristlicher oder widerchristlicher
Künstler erscheinen. Als Beispiel diene das
weite Feld der Mariendarstellungen. Es sind
keineswegs alle Marienbilder geeignet, Kultus-
oder Andachtsbilder zu sein (z. B. Raphaels
Belle jardiniere), aber wieviele, und so auch
das ebengenannte, sind gleichwohl von christ-
lichem Geiste durchhaucht! Ein Marienbild
ferner, das dem einen recht wohl als Andachts-
bild gelten zu können scheint, wird von dem
andern als solches abgelehnt, nicht einmal
immer aus Gründen der Darstellung, sondern

manchmal schon des Urhebers wegen. Ich
sage das nicht, als ob des Urhebers Qualität
allgemein entscheidend sein könnte; das herr-
liche und innig empfundene Kreuzigungsbild
in der St. Katharinenkirche zu Siena hat durch
den Beinamen und die, wenigstens angeblich,
schlechte Lebensführung seines Meisters an
christlichem Werte nichts eingebüßt, und selbst
der größte Eiferer wird ihm seinen Platz nicht
streitig machen wollen; aber in einzelnen
Fällen, für örtliche Kreise, kann die Rück-
sicht auf den Urheber ein Bildwerk aus der
Zahl der Andachtsbilder ausschließen, ohne
ihm den Charakter eines christlichen Kunst-
werkes nehmen zu können. Und so werden
Raphaels Belle jardiniere, ja seine Madonna
della seggiola oder die Sixtina zwar nicht jeden
ohne weiteres als Andachtsbilder ansprechen,
indessen als Werke der christlichen Kunst
werden sie immer gelten. Aber auch Werke
profanerer Art gehören in diesen weiteren Kreis
christlicher Kunst: eine Weihnachtbescherung,
ein Tischgebet, ein Krankenlager, eine Sterbe-
stunde und zahlloses andere kann Gegenstand
eines echt christlichen Kunstwerkes sein und
kann ebenso sichtlich unchristlich oder gar
widerchristlich sein. Und irgend ein Interieur
kann durch seine Ausschmückung und dazu
stimmende Ausführung einen christlichen Cha-
rakter bekommen, und es kann auch wieder
so dargestellt sein, daß ein Christusbild darin
als eine Art von Blasphemie erscheinen müßte.
Auch auf diesem zweiten, sehr weiten Gebiete
gelten gewisse Traditionen und Grundemp-
findungen, und konfessionelle Unterscheidungen
können darin oft mehr empfunden als im
einzelnen nachgewiesen werden; eine Weih-
nachtsfeier in der Familie, ein Tischgebet oder
gar eine Sterbestunde kann einen sehr aus-
geprägt katholischen oder protestantischen
Charakter haben. Ich spreche hier nicht von
Bildern polemischen Charakters, sondern von
solchen, die innerhalb der eigenen Konfession
lediglich dieser entsprechend erbauen sollen.
Aber ohne die nötige Kenntnis und auf ihr
beruhende Aufmerksamkeit können dabei vom
Künstler wie vom Käufer arge Fehlgriffe ge-
macht werden. Und sie werden gemacht,
und oft genug ist dem ganz wohlmeinenden
Käufer der Name des Verlegers oder Urhebers
die einzige Gewähr dafür, daß er wohl keinen
Fehlgriff mache. Es liegt auf der Hand, wie-
viel Christliches gerade auf dem Gebiete dieser
 
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