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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schnütgen, Alexander: Spätgotischer Holzkruzfixus mit Maria- und Johannes-Gruppe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0013

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Abhandlungen.

Spätgotischer Holzkruzifixus mit Maria-
und Johannes-Gruppe.

(Mit 2 Abbildungen,
' Tafel I und II )

us der Kirche zu Borgholz-
hausen (W.) ist 1875 die auf
Tafel I und II abgebildete
Kreuzigungsgruppe ent-
fernt worden, deren Kruzi-
fixus 204 cm hoch, deren
Maria-Johannesfigur 184 cm
hochistbei einer Ausladung
von 55 cm. Aus Eichenholz
geschnitzt hat sie ursprüng-
lich wohl als Triumphkreuz
gedient, indem aus dem
Scheitel des, gemäß einem von Herrn Grafen
Fr. Xav. Schmising Kerssenbrock mir besorgten
Längenschnitt, ca. 10 m h., 5 m br. Chorbogens, das
(in mächtige Pässe auslaufende) Kreuz schwebte,
unter demselben an dem kräftigen Kopiring die
auf dem Balken stehende Doppelfigur hing.
Der von der Polychromie im Lauf der Zeit
fast ganz befreite Kruzifixus ist vorzüglich
modelliert und von fester Hand geschnitzt,
realistisch gehalten mit besonderer, aber nicht
übertriebener Betonung der Rippen, trotzdem
sehr edel in Haltung und Ausdruck. In den
krampfhaft übereinandergelegten Füßen, wie
in den gekrümmten Händen zeigt sich er-
greifend, aber maßvoll der Schmerz, von dem
das ungemein edel geformte Haupt in rühren-
der Weise beherrscht ist. Der Mund ist leise
geöffnet, die Zunge mäßig vorgeschoben und
niedergedrückt, die Nase etwas zusammen-
gepreßt und gebogen, die nur wenig geöffneten
Augen erscheinen gebrochen. Die traditionell
herunterfallenden beiden Haarsträhnen, der
aus ganz kurzen Ringellocken gebildete Bart,
der aus dem Block geschnitzte fiechtige Dornen-
kranz rahmen das Dulderhaupt sympathisch
ein. Der Heiland ist soeben entschlafen und
im Tode hat er die Ruhe gefunden von dem
Schmerz, der den ganzen Körper noch ge-
fangen hält, Mitleiden erweckend in seiner
Ergebung. Das der Ursprungszeit entsprechende,
ziemlich schmale Lendentuch ist in knappem
Gefält um den Leib geschlungen, und die

beiden Zipfel, von denen der eine durch
seine bauschige Gestaltung die Spätzeit der
Gotik deutlichst verrät, tragen zur ruhigen
Silhouetten Wirkung das Ihrige bei. — Die
harmonische Vereinigung all dieser Eigen-
schaften sichert diesem Kruzifixus einen hohen
typischen Wert, daher eine große Vorbildlichkeit,
im Kreise seiner Genossen aus dem Anfange
des XVI. Jahrh., die zumeist, durch die Beugung
des Hauptes und durch die stärker ausgebildeten
Verrenkungen eine noch schärfere Ausprägung
des Leidens und Todeskampfes erhalten haben.
Dieselbe Maßhaltung im Ausdruck des
Schmerzes zeigt die Doppelfigur, die den
hl. Johannes darstellt, wie er mit beiden Händen
die wankende Gottesmutter vor sich hält.
Diese bei den Triumphkreuzen ganz ungewöhn-
liche Art der Darstellung wurde in der Spät-
gotik mit Vorliebe verwendet, wenn räumliche
Beschränkung sie erforderte, also namentlich
auf den gestickten und gewebten schmalen
Kaselstäben. — Die Gruppe ist aus dem auf
der Rückseite ausgehöhlten und durch ein Brett
geschlossenen Block mit großer Bravour ge-
schnitzt. Da die beiden Figuren en face gehalten
sind, so kommen sie ganz zur Wirkung, obwohl
die mächtige Gestalt des Liebesjüngers mit
seinem gewaltigen Lockenkopf, nach Maßgabe
der ihm hier zugemessenen erhabenen Aufgabe
die Dominante bildet, Ruhe und Festigkeit
behauptend trotz des zum Ausdruck gebrachten
Schmerzes, der bis in die krampfhaft ange-
strengten Finger hineinklingt. Die nicht un-
erheblich kleinere und viel zarter gehaltene
Gottesmutter mit ihrem fein geschnittenen,
wehmutsvoll, aber ganz ergeben gestimmten
Haupt macht durch ihre schwankende Haltung
mit dem schlaff herabhängenden linken Arm
den Eindruck tiefsten Kummers. Wie die
Köpfe und noch mehr die Hände, so sind
die Gewänder in bauschiger Knickung unge-
mein geschickt behandelt, so daß wir es hier
mit einem hervorragenden westfälischen Bild-
hauer, etwa um 1520, zu tun haben. — Gut
erhalten ist die einfache, aber wirkungsvolle
Polychromie: Haare der Gottesmutter schwarz,
Kleid braunrot mit dunkler Musterung, Mantel
blaugrün; Haare des hl. Johannes: gold, eben-
so der Mantel, Tunika rot. Scbnütgen.
 
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