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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Moeller, Ernst von: Die Zahlensymbolik in ihren Beziehungen zur Gerechtigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0085

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137

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

138

Die Zahlensymbolik in ihren Beziehungen zur Gerechtigkeit.

ythagoras ist bekanntlich in dem
Kreise der griechisch-römischen
Kultur des Altertums der Urheber
der Zahlensymbolik.1) Von ihm
und seinen Anhängern sagt Aristoteles in der
Metaphysik, sie hätten das Wesen der Dinge
nicht im Feuer oder der Erde oder dem
Wasser, sondern in den Zahlen zu erblicken
geglaubt. Die Zahlen galten ihnen nicht als
bloße . Nummern, sondern als der Schlüssel
zur Erkenntnis der Kräfte, die die Welt im
Innersten zusammenhalten; und die Zahlen
konnten ihnen das Verständnis erschließen,
weil sich für sie die bunte Mannigfaltigkeit
des Weltalls auf Zahlen aufbaute. Nicht nur
von der sichtbaren, materiellen Welt glaubte
man das. Auch die sittliche Welt, das Reich
der ethischen Begriffe und Werte sollte in
Zahlen das Fundament und das kürzeste und
richtigste Ausdrucksmittel besitzen. So be-
kamen einzelne Zahlen ethische Bedeutung
und die ethischen Begriffe eine mathematische
Fassung. Die Zahlen hatten für die Pytha-
goreer nicht bloß gewisse Eigenschaften, sondern
Kräfte, Tugenden, einen mystischen Sinn, der
sich nur dem Denker und Eingeweihten erschloß.
Es ist merkwürdig, daß diese Zahlen-
symbolik der pythagoreischen Schule die fol-
genden Jahrhunderte aufs stärkste beeinflußt
hat. Piatos Zahlenlehre hängt damit zu-
sammen. Die Musikschriftsteller des Alter-
tums, der alexandrinische Philosoph und Jude
Philo, die griechischen und lateinischen Kir-
chenväter, die Philosophen und Dichter, Theo-
logen und Liturgiker, Architekten2) und Musi-
kanten des Mittelalters huldigen der Zahlen-
mystik. Nicht einmal die Jurisprudenz hat
sich von ihr freigehalten. In Justinians
Pandekten finden sich ihre Spuren.3) Und
selbst ein so unbefangener Laie wie Eike von
Repgow hat sich in seinem Sachsenspiegel,
dem berühmten Rechtsbuche des XIILJahrh.,
diesem Einfluß willig unterworfen;4) — von

*) Zeller, »Geschichte der griechischen Philo-
sophie«. I, 1. 5. Aufl. p. 389 f.

2) Male, »L'art religieux du XHIe siecle en
France.« Nouv. ed. 1902. p. 27f.

3) Franz Hoffmann, »Zeitschr. f. Rechtsge-
schichte.« XI, p. 340 ; XII, p. 180.

*) Schröder, »Dtsch. Rechtsgeschichte«, 5.Aufl.
p. 678.

dem kabbalistischen Unfug der spätjüdischen
Literatur und den Ausläufern der modernen
Mystik ganz zu schweigen.

Die Tatsachen und Vorstellungen des natür-
lichen und geistigen Lebens, die dabei als
symbolisiert betrachtet und in den heiligen,
mystischen Zahlen verehrt wurden, sind Legion.
Von den Sphären des Weltalls, der Erlösung
und Auferstehung durchläuft diese Zahlen-
mystik des Altertums und Mittelalters alle
Stufen kirchlicher und weltlicher, himmlischer
und irdischer Erkenntnis und Tradition bis
herunter zu den Kieselsteinen, die David auf-
nahm, ehe er Goliath zu beschießen begann.
Daß die Sternenwelt sich in acht Sphären
gliedert, ist dem Mystiker eine tiefe Wahr-
heit, die er in Andacht verehrt; aber daß
David gerade fünf Kiesel nahm, keinen mehr
und keinen weniger, das fesselt beinahe eben-
so sein Interesse. Zufall gibt es in den Zahlen
nicht. Es schickt sich nicht, daß man als
denkender Mensch nicht den tiefen Sinn er-
kennen sollte, der sich hier hinter der Hülle
birgt. Wo bliebe die Würde des erlösten
Christen, wenn wir nicht einmal solche kleinen
Rätsel zu lösen verständen !

Aus der Fülle jener mit Hilfe von Zahlen
symbolisierten Vorstellungskreise treten von
Anfang an besonders markant die Tugenden
hervor. Schon bei Pythagoras und seiner
Schule machte sich darin der enge Zusammen-
hang geltend, der zwischen seiner Zahlentheorie
und seiner Ethik bestand. Und die Rolle, die
die mittelalterliche Kirche den Tugenden zu-
wies, hielt in der christlichen Zahlensymbolik
nicht nur die antike Tradition teilweise am
Leben, sondern bereicherte sie um manchen
neuen Zug, indem sie neue Verbindungen
zwischen bestimmten Zahlen und bestimmten
Tugenden feststellte. Zu diesen Tugenden,
mit denen sich die Zahlensymbolik von
Pythagoras bis ins späte Mittelalter beschäf-
tigt, gehört die Gerechtigkeit.

I. Die Quadratzahlen Vier und Neun
und ihre Wurzeln Zwei und Drei.
Ganz allgemein, ohne Bezug auf eine ein-
zelne Zahl, betrachteten die Pythagoreer die
Quadratzahl, den lifjidfjoc ladxig Hoog, als
Symbol der Gerechtigkeit. Sie bezeichneten
sie auch als io dvtinsnovüög, um damit die
 
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