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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schmid, Andreas: Die Seitenwunde Christi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0127

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217

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 7.

218

Die Seitenwunde Christi.

an sollte glauben, bei einem Ge-
kreuzigten wäre es nicht nötig, das
Herz noch zu "öffnen, um den
Körper vom Blut zu entleeren, weil
das Blut durch die Nägel schon Ausfluß genug
gefunden hätte. Allein es kam ja vor, daß der
Körper nur an das Kreuz gebunden oder nur
an den Händen angenagelt wurde. In solchen
Fällen mußte das Leiden um so länger dauern.
Man kennt einzelne Fälle, daß Gekreuzigte
zwei Tage und Nächte am Kreuze schmachteten
und nur infolge des Hungers ihr Leben endeten.
Sollte der Tod aus irgend einer Ursache be-
schleunigt werden, so mußte ein gewaltsamer
Eingriff gemacht werden, sei es durch das
Zerschlagen der Glieder (crucifragium) oder
durch Herzstich. Eine solche Beschleunigung
des Todes sollte auch bei dem gekreuzigten
Heiland vorgenommen werden, weil schon in
wenigen Stunden der Sabbat begann, wie der
hl. Evangelist Johannes (19, 31) bemerkt. Als
die Soldaten die Gebeine der Schacher ge-
brochen hatten, kamen sie zu Jesus und sahen,
daß er schon gestorben sei; sie zerbrachen
daher seine Beine nicht, sondern einer von
den Soldaten öffnete die Seite des Heilandes
mit einem Speere und sogleich kam Blut und
Wasser heraus.

Nicht ist in diesen Worten des Evangelisten
angemerkt, welche Seite des Leichnams durch-
stochen wurde. Auffallend ist, daß die älte-
sten Nachrichten nicht die linke, sondern die
rechte Seite angeben, so eine äthiopische Über-
setzung, das apokryphe Evangelium des
Nikodemus und der Kindheit Jesu, sowie sonst
alle Exegeten. Unter den letztern bemerkt
Cornelius a Lapide, der Stoß sei so gewaltig
geführt worden, daß er durch die rechte Seite
hindurch bis in das Herz drang.1) Die Exe-
geten und nicht einmal die Ärzte können die
Frage, ob die Seitenwunde Christi auf der
rechten oder linken Seite lag, endgültig ent-
scheiden. Auch die Archäologie bietet für
beide Ansichten Belege. Die ältesten Kruzifix-
bilder aul der Holztüre von Santa Sabina zu
Rom (V. Jahrh.) und das gleichzeitige Elfenbein-
relief im Britischen Museum zu London haben

noch gar keine Seitenwunde verzeichnet; da-
gegen die Abbildung des Mönches Anastasius
Sinaita um das Jahr 600, sowie eine andere
in einer Evangelienhandschrift zu Florenz aus
dem Kloster Zagba in Mesopotamien aus dem
Jahre 586 zeigen die rechte Seite durchbohrt
und auf letzterm Bilde heißt der Soldat, welcher
den Lanzenstich führte, schon Longinus. Auch
abendländische Bilder aus dem VIII. Jahrh.
zeigen dieselbe Auffassung.

Zur Erklärung, warum selbst im Mittelalter
die Seitenwunde Christi von den Künstlern
rechts angebracht wurde, führt man an, es sei
häufig mit der Kreuzigungsgruppe die symbo-
lische Darstellung der Kirche und Synagoge in
Verbindung gebracht worden und damit die
Kirche unter dem rechten Arme das Blut in den
Kelch aufnehmen könne, habe man die Seiten-
wunde auf die rechte Seite verlegen müssen.
Schon im IV. Jahrh. spricht Melito von Sardes
•den Gedanken aus, wie Eva aus der Seite
des Adam hervorgegangen sei, so habe auch
die Kirche ihren Ursprung aus der Seiten-
wunde Christi genommen. (Spicil. Solesm. III
p. 301). Wirklich schlüpft nach einem Ge-
mälde des XIII. Jahrh. die Kirche aus der
Seite des Kruzifixus (Innsbrucker Kirchen-
freund 1905, S. 102).

Nur eine Folge dieser symbolischen Auf-
fassung ist eine liturgisch e. Während näm-
lich durch die Rubriken des heutigen Missale
dem Priester vorgeschrieben ist, den Kelch in
gerader Linie hinter die Hostie zu stellen,
damit bei den mannigfachen Segnungen das
Kreuz über beide Teile geführt werden kann,
bestand im Mittelalter die Praxis, die beiden
Oblaten nebeneinander zu stellen und zwar
links (vom Priester aus) den Kelch, um aus
der rechten Seite Christi das Blut aufzu-
nehmen. Innoc. III de sacrif. missae II 58.
Migne lat. 217 p. 833.

So viel bleibt also gewiß, daß Künstler
nicht zu tadeln sind, wenn sie die Seiten-
wunde Christi auf die rechte Seite verlegen.
München Andreas Schraid.

') Vgl. Langen , „letzten Lebenslage Jesu". (Frei-
burg 1864.) S. 357.

[Auch die Annahme, daß der Lanzenstich aus der
Tiefe erfolgte und von der rechten Seite am leichtesten
das Herz erreicht werden konnte, wird der Grund für
diese Seitenwunde entnommen. D. IL]
 
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