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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

DOI Artikel:
Hasak, Max: Der neue Stil, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0151

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261

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

262

Der neue

jarum wird die Profangotik der Aus-
gangspunkt für einen neuen Stil
sein? — Betrachten wir, wie die
Renaissance entstanden ist. —

Stil.

Der Palast der italienischen Frührenaissance
ist ein gotischer Palast Italiens, welcher mit
antiken Einzelheiten verziert ist. Ebenso
verhält es sich mit dem französischen Früh-
renaissancepalast; und das deutsche Renais-
sancehaus ist bis zum Barock und Rokoko
ein deutsches gotisches Haus, das mit „anti-
kischen" Einzelheiten ausgestattet ist. Die
wesentlichen Unterschiede der drei Renaissance-
paläste sind noch dieselben, welche die
gotischen Profanbauten der drei Länder unter-
scheidet. Der italienisch-gotische Palast kennt
keine hohen Dächer, keine Giebel, keine Erker.
— Gekuppelte Fenster unter einem gemein-
samen Bogen, große Mauerflächen, Loggien
mit Säulchen und Geländern sind seine Be-
sonderheiten. Alles das kennzeichnet auch
den italienischen Palast der Frührenaissance.
Selbst die axiale Einteilung, die man gemeinhin
für eine Erfindung der Renaissance hält, hatte
schon der romanische, wie der gotische Palast
Italiens ausgebildet. Die regelmäßige Axen-
einteilung zeigen übrigens auch fast alle gotischen
Hallen und Rathäuser Belgiens. — Das
deutsche Renaissancehaus behält die hohen
Dächer, Giebel, Erker und die Fenster-
pfosten seiner gotischen Vorgänger getreulichst
bei. •— Nun sind seit dem Untergang der
Gotik ungezählte Aufgaben der bürgerlichen
Baukunst erwachsen, die nie in den Formen
der Gotik gelöst worden waren. Schon aus
diesem Grunde würde eine völlig neue Kunst
entstehen, versuchte man die. neuzeitlichen
Aufgaben in gotischen Formen wiederzugeben.
Daß ein solches Unternehmen sich höchlichst
belohnen würde, erweisen die zur Zeit der
Gotik gelösten Profanaufgaben. Die Rathäuser
zu Breslau, Stralsund, Tangermünde, Braun-
schweig, Münster, Aachen, Brüssel, Audenarde
und Löwen sind ein unübertroffener Kranz
profaner Meisterwerke. Ebenso sind die neu-
zeitlichen gotischen Rathausbauten in München,
Wien, Stuttgart und Aachen an Eigenart und
Wirkung ihren neuen Renaissanceschwestern
überlegen. Wie gleichgültig läßt dagegen das
Hamburger und andere „moderne" Rathäuser!

(Schluß.)
Nun ja — hört man häufig — für Rathäuser
ist dieser Stil möglich, aber nicht für die anderen
Profanbauten. Warum nicht? Übertrifft nicht
an Reiz und Traulichkeit die Marburger Uni-
versität jede der vornehm kaltlassenden Re-
naissancehochschulen, die noch obendrein eine
der andern gleicht. Wie poesievoll wären die
Schulkorridore, wenn sie in Art der mittel-
alterlichen Kreuzgänge mit Kreuzgewölben
und Maßwerkfenstern ausgestattet würden!
Rufen nicht die Parlamentshäuser zu London
und Pest die Bewunderung aller wach? —
Übertrifft nicht der Gürzenichsaal jeden anderen
Konzert- oder Festsaal an eigenartiger und
festlicher Stimmung? Ist nicht der Waren-
palast Wertheim erst dann interessant und
von Besonderheit geworden, als er spätgotische
Einzelteile und Anordnungen erhalten hat?
Selbst eine gotische Bank wird von ihren Re-
naissanceschwestern nicht erdrückt. — Aber
ein Theater! — Ja, ist das Wiener Opernhaus
nicht viel eigenartiger und wirkungsvoller als
die meisten neuzeitlichen Theater ? In früher
Gotik würde jedes Opernhaus Unter den Linden
seinen Platz behaupten und nicht wie andere
Renaissancetheater aussehen. Man kann in
den bisherigen Weisen keine neue Melodie
mehr finden. Reichere Zeiten mit groß-
artigeren Bauherren und dankbarerem Publi-
kum haben all diese Aufgaben schon hundert-
mal und viel meisterhafter gelöst. Was bleibt
uns übrig? Entweder das ständige Nach-
beten der Schöpfungen Größerer mit unzu-
länglichen Mitteln in Kunstweisen, die uns
und unseren Fähigkeiten nicht liegen. Oder
die Willkür — die zu nichts führt! Oder man
nehme das vernünftige Prinzip der Gotik, ihre
herrlichen Einzelheiten und bekleide damit die
neuzeitlichen Baukörper. Dann schafft man etwas
völlig Neues. Man steht dabei auf den Schultern
ganzer Jahrhunderte und hat die Riesenerfolge
vor Augen, die Jene mit denselben Mitteln schon
erzielt haben. Wir werden damit etwas Eigen-
artiges, uns Gehöriges schaffen, eine deutsche
Baukunst im neuen deutschen Reich. Nur muß
man sich über die Notwendigkeit dieses Weges
klar werden, über das Vernunftgemäße der goti-
schen Mittel und über das herrliche Ziel, welches
den vereinten Kräften aller als Siegespreis winkt.
Grunewald. Max Hasak.
 
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