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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Reiners, Heribert: Das Chorgestühl des Domes zu Köln, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0160

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279

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

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draperien als Abschluß dienen. Und vielleicht
hat der Künstler auch durch die reicher ver-
zierten Sitzbänke der kosenden Paare diesen
Gegensatz betonen wollen.

Die Füllungen der oberen Voluten sind
bei der nördlichen Wange rein dekorativ zu
nehmen. Es war dem Bildhauer um Figuren
zu tun, die sich möglichst dem gegebenen
Räume anpaßten, und daher hat er auch, als
er einmal eine gute Lösung gefunden hatte,
wobei die Figur mit starker Ausbiegung des
Körpers den rechten oder linken Fuß hoch-
stellt, diese häufig wiederholt. Ob er bei den
Gestalten der südlichen Voluten wieder einen
Kontrast beabsichtigt? Er zeigt beide Male
den Kampf zweier Ritter. Die einen streiten
mutig, Stirn gegen Stirn, die anderen wenden
feige den Rücken und scheinen so weiter zu
fechten.

Die nächste Wange der Nordseite gibt
zwei interessante Darstellungen voll derber
Satyre. (Abb. 4.) Rechts stülpen zwei Juden, als
solche an ihren spitzen Hüten kenntlich, ein
Faß um, aus dem ein geschlachtetes Schwein
mit vier Jungen herausfällt. Der zu äußerst
stehende Jude faßt mit der Linken einen
herbeieilenden Knaben an der Hand. Auf der
Nebenszene hält ein Jude ein lebendes Schwein
in die Höhe, ein zweiter gibt dem Tiere etwas
zu fressen und ein dritter, der zwischen beiden
hockt, saugt an den Zitzen des Schweines.
Beide Szenen sind treffliche Belege des immer
mehr sich verbreitenden Judenhasses. Diejuden,
so will hier der Bildhauer sagen, werfen das
Schweinefleisch, das andere zum Autbewahren
bereitet haben, fort, leisten dadurch dem Ge-
setze scheinbar Genüge und stellen sich vor
der Welt als mäßig hin. Ihre wahre Unmäßig-
keit bringt aber die nebenstehende Szene zum
Ausdruck. Diese Darstellung der sogenannten
Judensau war im Mittelalter recht häufig.

In den oberen Voluten dieser Wange
tummeln sich Zentaurenwesen, wegen ihrer
steten Wiederholung hier wohl als Symbol der
Unmäßigkeit aufzufassen. Unter den Ranken
hat die köstliche Fabel vom Storchen und
Fuchs Platz gefunden, in der üblichen Art
erzählt. Zwischen beiden Tieren steht eine
Flasche, in die der Storch seinen Schnabel
gesteckt hat, während der Fuchs daneben
sitzt und mißmutig zuschaut.

Die gegenüberliegenden Vierpässe (Abb. 5)
stellen je eine Gerichtsszene dar und zwar rechts

zunächst Salomons Urteil. Vor dem König,
der mit dem Szepter in der Linken auf seinem
Throne sitzt, hat sich die eine der streitenden
Frauen auf die Knie geworfen, die Hände
bittend erhoben. Die zweite steht hinter ihr
und hält das Streitobjekt, das Kind an ihrer
Schulter. Die Mitte nimmt ein Kriegsknecht
ein, der das Kind an sich nehmen will. Auf
dem zweiten Bilde hat sich ebenfalls vor dem
Throne eines gekrönten Richters eine bitt-
flehende Frau niedergelassen. Den Hintergrund
füllt eine gefesselte Figur, während zwei Per-
sonen die Mitte einnehmen. Die Szene spielt
im Freien, nach dem Eichbaum in der Ecke
zu schließen. Dieser zweite Richter ist Kaiser
Traian, der dem Mittelalter neben Salomon als
Verkörperung der Gerechtigkeit erschien. Fol-
gende Szene diente dem Kölner Künstler als
Vorbild: Als Traian einst gegen die Dacier
zu Felde ziehen will und an der Spitze seiner
Armee durch Rom reitet, wirft sich eine arme
Witwe vor ihm nieder und verlangt seine
Rechtsprechung. Des Kaisers Sohn hat näm-
lich soeben ihren einzigen Sproß ermordet,
weil dieser den Falken des Prinzen, als er
seiner Mutter letztes Eigentum, eine Henne
umbrachte, erwürgte. Für diesen Mord an ihrem
Sohne verlangte die Frau vom Kaiser Sühne.
Vergebens sucht dieser sie zu trösten bis zu
seiner Rückkehr. Als die Witwe in der
Furcht, Traian möge im Kriege fallen, in ihren
Bitten nicht nachläßt, steigt er vom Pferde,
um der Untertanin Recht zu sprechen. Und
das Urteil lautet: Entweder stirbt der Prinz
für seine Frevel tat oder er tritt bei der Witwe
die Stelle des ermordeten Sohnes an.

In der bildenden Kunst ist die Dar-
stellung des Kölner Gestühles wohl die erste.
Nicht viel später ist jene an dem berühmten
Kapitell des Dogenpalastes in Venedig, wo
ebenfalls die Justitia durch eine Verbindung
der beiden Szenen aus Traians und Salomons
Leben versinnbildet wird. Aus der Spätzeit
sei nur das Wandgemälde auf Leinwand im
Kölner Kunstgewerbemuseum genannt, das
unter den legendarischen Darstellungen des
gerechten Richters auch Traians Erlebnis mit
der Witwe schildert.

Die nächste Wange der Gegenseite (Abb. 6)
bringt in dem linken Vierpaß eine Jagdszene:
Eine Frau mit einem Falken auf der Hand, den
ein Jüngling vor ihr nehmen will; zwischen
beiden ein Hund, der an der Frau empor
 
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