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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Witte, Fritz: Silbernes Gefäß für die heiligen Öle im Hamburgischen Museum für Kunst und Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0067

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1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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fortitudinis a facie inimici", „sei ihm (dem
Kranken) o Herr, ein Turm der Stärke im
Angesichte des Feindes" (Ps. 61. 4). Dem-
entsprechend dürfen wir auch die vier Löwen
mit geöffnetem Rachen auf Christus, den
Löwen von Juda und Repräsentanten des
Kampfes gegen den bösen Feind deuten.

Eine Vermutung darüber aufzustellen, wel-
ches die anderen Figürchen an den Längs-
und Schmalseiten gewesen seien, ob der Täufer
und der Kirchenpatron einstens in den Nischen
standen, geht nicht wohl an. Zwischen den
Figurennischen sind die Wändflächen noch-
mals belebt durch eingravierte Blindfenster
wie auf dem Rumpfe der drei Türmchen.
Nach oben schließt der Truhenrand festungs-
artig ab mit einem profilierten Zinnenrand.

Es ist höchst bedauerlich, daß dieses inter-
essante Stück mittelalterlicher Goldschmiede-
kunst weder durch Inschriften noch durch
Stempel seinen Geburtsort und seinen Ver-
fertiger nennt. Am unteren Rande des Käst-
chens scheint eine Marke eingeschlagen zu
sein; sie ist aber nicht zuerkennen; daneben
ist ein schlichtes, einfaches Kreuzchen ein-
graviert.4) Die Figürchen in ihrer tadellosen
Ausführung, vor allem aber die künstlerische
Konzeption des Ganzen weisen auf einen
ebenso feinfühligen wie geschickten Meister.
Wahrscheinlich dürfen wir das Gefäß als
ein Werk heimischer Goldschmiedekunst an-
sprechen. Mir ist nur ein Stück bekannt,
das mit ihm verglichen, ja an seine Seite ge-
stellt werden darf, nämlich das im Domschatze
zu Osnabrück. Es zeigt denselben Aufbau
wie das Exemplar im Hamburgischen Museum
mit dem Unterschiede, daß es viel einfacher
gehalten ist, den figürlichen Schmuck vermissen
läßt und daß die Deckel der drei kombinierten
Gefäße eine gedrücktere und darum weniger
elegante und fließende Form haben.5) Die

Kunstaltertümer des deutschen Mittelalters. (Leipzig
1893), Bd I Seite 261. Dort auch die Aufzählung
einer Reihe von ähnlichen Beispielen, aber ohne den
truhenartigen Untersatz. Man könnte allein aus Nord-
westdeutschland noch eine Anzahl hinzufügen. (»Bau-
und Kunstdenkmäler der Provinz Westfalen», Kreis
Beckum, Tafel 4).

4) Es wäre nicht unmöglich, daß auf der Unterseite
eines der drei Türmchen ein Künstlerzeichen sich findet;
leider ist es bei der teilweise schlechten Erhaltung des
Gefäßes nicht ratsam, die Vernietung zu lösen.

») Abgebildet in »Bau- und Kunstdenkmäler der
Provinz Hannover«), Bd. IV. (Osnabrück) Seite 55.

Abfasung der Ecken und die Abstützung der
sie bekrönenden Kielbogen ist dieselbe wie an
dem Behälter aus Damme; es ist wohl wahr-
scheinlich, daß beide aus derselben Künstler-
werkstatt stammen. Das Osnabrücker Gefäß hat
die Inschrift: „Henricus brumzele mefierifecil".
Brumzel.decret.doctor, war 1455 Pfarrer am Dom.
Die Angabe des Geburtsdatums dürfen
wir mit einem kleinen Spielraum vorwärts
oder rückwärts auch für unser Stück als zu-
treffend bezeichnen. Leider ist auch bei dem
Gegenstück der Verfertiger und sein Wohnsitz
nicht angegeben. Möglich, daß sich mit der
Zeit noch einige Goldschmiedearbeiten jener
Zeit auftreiben lassen in der Gegend von
Osnabrück, die nähere Angaben über den Ent-
stehungsort und über den Künstler enthalten.
Für die Geschichte der nordwestfälischen Gold-
schmiedekunst würde das von großer Be-
deutung sein. Ich habe seinerzeit einen ge-
waltigen Stoß von Ausgaben- und Einnahmen-
registern der Osnabrücker Domfabrik durch-
gearbeitet, die mir durch Vermittlung des
Herrn Domkapitulars Rothert vom General-
vikariat bereitwilligst zur Verfügung gestellt
wurden. Sie setzen ein mit dem Jahre 1414
und enthalten in den ersten Dezennien aller-
dings unangenehme Lücken, bis daß von 1500
an die Register fast alle erhalten sind bis
zum Jahre 1600. Mancher Künstlername aus
Osnabrück selbst und anderen westfälischen
Orten tritt dort auf, und eine ganze Reihe der
köstlichen Stücke des Osnabrücker Domschatzes
werden namentlich aufgeführt: der Reginen-
schrein, mehrere der noch erhaltenen Silber-
statuen der Apostel, das große getriebene
Triumphkreuz usw. Wo es sich um bedeut-
samere Arbeiten handelt, werden Künstler von
auswärts herangezogen, vor allem aus der
Hauptstadt Münster, wo die Kunst ja in jenen
Tagen zu Hause war.6) Leider wird das Osna-
brücker Gefäß in den Fabrikrechnungen nicht
genannt, weil der Domfabrikmeister keine Ver-
anlassung hatte, Schenkungen in seinen Listen
zu verzeichnen.

Hamburg. Fritz Witte.

6) Leider hat man im Jahre 1907 verabsäumt, den
bei Gelegenheit der Anwesenheit des Kaisers in Münster
aufgestellten, überraschend reichen Silber- und Gold-
schatz aus Westfalens Schlössern und Rittergütern einer
wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen. Eine
so günstige Gelegenheit wird sich bei der starken Zer-
streuung des Materiales kaum jemals wieder bieten.
 
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