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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Silbervergoldete Turmmonstranz in der Pfarrkirche zu Dorsten i. Westf.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0049

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59

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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sechseckiger Halsring führt nunmehr in den Auf-
bau über. Seine Grundform ist ein Kreis, auf
dessen Diagonale die Front des Turmbaues
steht. Sechs naturalistisch als Weinlaub und
Zweige gebildete Rippen führen in sanfter
Schwingung vom letzten Halsring des Schaftes
in die tragende Platte hinüber. Die auf der
Diagonale liegenden Zweige sind vollständig
frei gearbeitet, die Blätter breit, mit starken
Buckelungen und feinsten Ziselierungen; an der
Peripherie treten sie in freien Überkragungen
aus der Umrißlinie heraus als Stützen für den
Aufbau; eine wenig zarte Behandlung der
Monstranz in früheren Zeiten hat den aus-
tretenden Blättern leider ein gut Stück ihres
Schwunges benommen. Die große Stützplatte,
von einem Kammfries eingefaßt, geht in leichter
Steigung zum Zylinder über im Zentrum der
Monstranz. Sie bietet in ihren großen polierten
Flächen mit den in getriebenes Eichenlaub
gebetteten silbernen Rosen den letzten kräftigen
Stütz und Ruhepunkt für das Auge, bevor der
rein architektonisch angelegte Turmbau mit
seinen Linien und Kurven anhebt und in
flottem Rhythmus das Auge zur Spitze gleiten
läßt. Fest ist der Aufbau und außerordentlich
klar disponiert, nichts anderes als ein großer
Portalbau, unter dem der von Kammgesimsen
gehaltene Glaszylinder mit der (neuen) Lunula
steht. Im wesentlichen besteht der Turm
aus zwei Teilen: der Flankierung und dem
Überbau des Zylinders. Ein stämmiger Pfeiler
steht zu beiden Seiten des Ostensoriums, kräftig
heraustretend in breiten Flächen, die von ihrer
Schwerfälligkeit befreit werden durch mannig-
faltige Vorbauten und Gliederungen, ohne daß
der Goldschmied zu dem billigen Surrogat
eingravierter Fensterbögen u. s. f. gegriffen hat.
Breit postiert stehen vor dem Untersatz auf
der Vorderseite Antonius und Johannes der
Täufer, der früheste Patron der Kirche, auf
der Rückseite Petrus und ein bartloser Heiliger
mit Buch und Stab. Diese untere Partie des
Aufbaues baut sich nach oben wie ein Regen-
schlag weit aus und überdeckt eine silberne
Engelfigur mit flatterndem Haar und sehr
dekorativ wirkenden zottigen Flügeln, in den
Händen Leidenswerkzeuge haltend. Besonders
wirkungsvoll und gut überlegt ist die Zuführung
derSchräge des Regenschlages auf den Zylinder;
sie findet scheinbar eine Fortsetzung in dem
Schwibbogen, der die seitlichen Pilaster mit
dem Kugeldach des Zylinders verbindet, in

Wirklichkeit bricht sich die Linie aber, wodurch
eine wesentlich lebendigere Wirkung erzielt
wird. Oben endigen die zwei Pilaster in
schlanken Fialen. Auf dem silberpolierten
Kugeldach des Zylinders sitzt die hohe, fest
und doch luftig wirkende Turmspitze, die in
ihrer genialen Massenverteilung ihres Gleichen
sucht und zu dem Vollendetsten gehört, was wir
aus dem XV. Jahrh. an derartigen Arbeiten
erhalten haben. Eine kräftige Mittelstütze
wird von zwei Flankenpfeilern begleitet, alle
drei sind aufs reichste belebt durch Erker- und
Portalbauten. Eigenartig, fast befremdend
wirkt die sitzende Figur des hl. Nikolaus in
weiter Glockenkasel mit Gabelkreuz und mit
gedrungener Mitra. Als Stadt- und Zunftpatron
ist er in segnender Haltung dargestellt. Daß
er die Vorderseite einnimmt, nicht die der
thronenden Madonna der Rückseite, scheint
mir nicht ohne Bedeutung zu sein und einen
Hinweis auf den oder die Stifter zu enthalten,
nämlich auf die in der Stadt sehr angesehene
Zunft der Schiffer. Die Figur selbst würde
man nach Haltung und Kleidung in das
XIV. Jahrh. verweisen müssen, spräche nicht
die Art der Ziselierung im Gewand und vor-
erst der Kopf deutlich und klar für eine spätere
Zeit. Möglich ist, daß hier eine bereits vor-
handene Figur des hl. Nikolaus Modell ge-
standen hat. Über der baldachinbekrönten
Figur läuft ein Brüstungsumgang, über dem
nochmals beiderseits ein Baldachin schwebt
mit den Figuren der hl. Katharina und der
Agatha, von denen letztere eine minderwertige
Zutat des vorigen Jahrhunderts ist. Langsam
läuft die Spitze jetzt in Rundtürmen mit
Schindeldächern in die Bekrönung über, die
langgestreckt auf der obersten Spitze das breit
ausladende Kreuz mit dem Heiland trägt, der
besonders fein und trotz seiner geringen Größe
außergewöhnlich ausdrucksvoll durchgeführt
ist.1) Gläubige Devotion späterer Zeitenhat der
schönen Monstranz einen eigenartigen Schmuck
gegeben: Münzen bis zu 10 cm Durchmesser,
Medaillen, Brillanten und sogar ein auf der Rück-
seite hübsch emaillierter seltener Renaissance-
ring hängen an einem goldenen Kettchen am
Kranzgesimse der runden Tragplatte. Mehrere
der Münzen, darunter vor allem eine mit dem

') Daß an dieser Stelle in neuerer Zeit Umarbeitungen
stattgefunden haben, ist wahrscheinlich; jedenfalls sind
sie dann aber mit gutem Vetständnis vorgenommen
worden.
 
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