Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

DOI Artikel:
Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0079

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
101

1910.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

102

Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwicklung.

I (Mit 14 Abbildungen.)

Tenn man die bislang erschienenen
Handbüchermittelalterlicher Kunst-
archäologie durcharbeitet, so kann
man sich des Eindruckes nicht er-
wehren, daß man in manchen Kapiteln nichts
weiter denn ein Magazin, eine Aufzählung auf
uns gekommener Kunstgegenstände, aber nicht
ihre Entwicklungsgeschichte vor sich hat.
Ein Zweifaches ist durchweg außer acht gelassen
worden: Die Gruppierung nach Zeit und Ort
und, was weit folgenschwerer ist, die Berück-
sichtigung der kirchlichen Verhältnisse und
Anschauungen, die den Gebrauchsgegenständen
ihre Entstehung gaben. Dieser Übelstand mag
sich nicht zuletzt daraus erklären, daß die
brauchbarsten Handbücher aus der Feder
protestantischer Verfasser hervorgingen, denen
immerhin eine notwendige Vorbedingung für
die Beurteilung kirchlicher Altertümer mehr
oder weniger abgehen muß, die vollständige
Vertrautheit mit der Liturgie von heute. Die
Kirche ist der Inbegriff des Konservatismus
und ist es in dem Festhalten an ursprünglichen
liturgischen Vorschriften mehr als anderswo
gewesen. Sehr stiefmütterlich kommen in der
wissenschaftlichen Behandlung fast stets das
Urchristentum und die Zeit des Überganges
(nach Freigabe der Religion) weg, und das
wohl deswegen, weil die Monumente zu spär-
lich, und die kirchlichen Schriftsteller zu wenig
gekannt sind. Selbst Fleury hat in seinem
Monumentalwerk La Messe eigentlich nur
regel- und wahllos Belegstellen gesammelt und
aneinandergereiht, und zwar so, daß die eine
Schriftstelle oft durch die folgende scheinbar
aufgehoben wird. Es wird ganz gewiß eine
der wichtigsten Fragen der Kunstarchäologie
der nächsten Zeit sein müssen, ob der Kunst-
historiker und Archäologe mit dem bislang
herangezogenen Hausrate einzelner, planlos
exzerpierter Schriftstellen und Inventarnotizen
auskommt, oder ob er nicht vielmehr gründ-
licher und länger als bislang bei den Dogmen-
und Religionshistorikern in die Schule gehen
muß, um wenigstens mit einiger Präzision die
Geschichte kirchlicher liturgischer Gebrauchs-
gegenstände schreiben zu können. Die Kunst-
archäologie braucht sich nicht zu schämen, in
gewissen Fällen eine Hilfswissenschaft der
Religionsforschung zusein; beide werden gegen-

seitig einander sich helfen und ergänzen, denn
der Historiker und Dogmatiker wird nie der
Monumentalbeweise entraten können, die ihm
der Archäologe beibringen sollte. Um ein Bei-
spiel namhaft zu machen: Wer wird es unter-
nehmen wollen, eine Geschichte der Taufsteine,
Taufschüsseln usw. zu schreiben, ohne Ritus und
liturgische Gebete nach Form und Inhalt in den
verschiedenen Zeitperioden zu befragen und aus
ihnen heraus beides geboren werden zu lassen?

Unter solchen Gesichtspunkten dürfen wir
es auch wagen, erneut an die Entstehungs-
und Entwickelungsgeschichte eines anderen
liturgischen Gefäßes heranzutreten, obschon
es bereits eine Reihe von Monographien ge-
funden hat, des Thuribulums nämlich"
Ich wüßte kein anderes liturgisches Gerät
anzuführen, abgesehen vielleicht vom Leuchter,
von dem uns so viele Exemplare aus fast
allen Jahrhunderten erhalten geblieben sind.
Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen,
daß das Weihrauch faß, zumeist schon prak-
tischer Gründe wegen, aus unedlem Metall
verfertigt wurde. — Dazu kommen die neuer-
lichen Funde im konservierenden Sande der
Wüste, bei denen eine ganze Menge kirchlicher
Räuchergefäße zum Vorschein gekommen ist.
Daß Thuribula aus Edelmetall nur spärlich
erhalten geblieben sind, kann nicht befremden;
sie haben auch kaum andere Formen gehabt
wie die aus Bronze und Eisen. — Neben diese
Funde treten die literarischen und Monumen-
talquellen, die für manche Periode so reichlich
fließen, daß wir der Originale entraten könnten,
um die Geschichte des Thuribulums auch für
diese Zeitabschnitte zu schreiben.

Es hält nicht schwer, den größeren Teil
der beim christlichen Gottesdienste gebräuch-
lichen Geräte als Kinder heidnischer oder
jüdischer Religionsaltertümer zu legitimieren,
und beim Räuchergefäße ist diese Möglichkeit
um so größer, als es bekannt ist, daß Juden
wie Heiden mit Vorliebe sich des Weihrauches
bedienten. Das bezeugen uns die rituellen
Vorschriften der Juden, die literarischen Quellen
der Römer, und vorerst die Malereien und
Skulpturen Griechenlands, Roms und der
ägyptischen Reiche1). Wie die Römer opferten,

') Liv. X. 23, 2: publice vinum ac tus praebitum.
ture et vino in igne in foculo fecit. Vgl. Wissowa, G.;


 
Annotationen