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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0102

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139

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

140

Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung.

II, (Mit 14 Abbildungen.)

o wie Afrika aufhört, uns Beispiele
zu überliefern, setzen zwei neue
Fundgruben ein mit ihrem Mate-
rial: Die Funde auf der Krim
und gleichzeitig und weiter vorschreitend die
zahlreichen Elfenbeinschnitzereien der Karo-
lingerzeit und die Miniaturen. Das Museum
zu Odessa, das Germanische und das Kaiser-
Friedrich - Museum bergen mehrere dieser
interessanten auf der Krim und anderswo
gefundenen Stücke11). Ich möchte ihnen die als
Weihkesselchen bezeichnete Bronze im Museo
Nazionale zu Florenz hinzurechnen, die man
mit Unrecht, unter völliger Verkennung des
plastischen Schmuckes, als deutsche Arbeit
auszugeben sich bemüht hat12). Der reiche
Figurenschmuck weist auf eine ziemlich hohe
Kultur hin, und es ist immerhin wahrscheinlich,
daß diese Gefäße von Byzanz oder Syrien her
beeinflußt sind. Sie wurden bislang vielfach
dem VIII. Jahrh. zugewiesen, auf Grund der
Akanthusornamente an einem der Stücke in
Odessa datiert man sie zum Teil besser um zwei
Jahrhunderte rückwärts. Sie haben einen
bestimmten, von den bislang herangezogenen
Exemplaren wesentlich verschiedenen Typus
und bilden nächst denen, die wir in den
Miniaturen der Karolingerzeit finden, den
Übergang zum späteren, bis auf unsere Tage
gebräuchlich gebliebenen kesseiförmigen Weih-
rauchfaß, indem der Feuertopf im wesentlichen
eine halbkugelförmige Bildung mit drei Ösen
für die Ketten aufweist. Zum Aufstellen sind
sie wenig oder gar nicht geeignet, die Füßchen
sind in Fortfall gekommen, und wir haben das
reine Schwenkgefäß vor uns. Daß der Deckel
fehlt, ist nicht besonders auffällig, denn auch
die in den Händen der Priester, der Frauen
am Grabe und der Engel in den Miniaturen der
nachfolgenden Jahrhunderte entbehren durch-
weg des Deckels, und geschlossene Thuribula
gehören beinahe zu den Seltenheiten. Die alte
zylinderförmige Gestalt hält sich aber neben der
neuen, und sie scheint besonders bei den Angel-
sachsen üblich gewesen zusein. Dem entsprechend

») Wulff a. a. O. Taf. XLVII.

12) Abgeb. u. bespr. »Revue de l'art ehret.« 1903,
S. 318. Eine genauere Datierung dieser Klasse der
Thuribula gibt O. Pelka in den Mitt. a. d. Germ. Mus.
1905, S. 85 ff. Dort auch eine Zusammenstellung der
Szenenfolge auf den vielen erhaltenen Exemplaren.

haben die in angelsächsischen Handschriften
abgebildeten Stücke auch dem älteren Ge-
brauche entsprechende Füßchen und Deckel13).

Auf einen Umstand müssen wir hier auf-
merksam machen, daß nämlich die meisten,
fast alle bislang herangezogenen Thuribula
vom Totenkult nicht loszulösen sind. Die
koptischen Stücke wie die der Krim fanden
sich in Gräbern, in den Miniaturen sind es
fast stets die drei Marien am Grabe, Leichen-
begängnisse usw., bei denen wir die Thuribula
finden14). Daneben sehen wir sie'eigentlich nur
noch in den Händen des opfernden Zacharias,
des Aaron oder der Engel. Das ist kein
Zufall, diese Erscheinung weist uns vielmehr
darauf hin, daß der Weihrauch nach wie vor
als ein Stück Exorzismus beim Totenkult Ver-
wendung fand bis tief ins Mittelalter hinein u).

Eine weitere Eigenart ist höchst merk-
würdig und scheint mir ebenfalls für die These
zu sprechen. Sowohl das Thuribulum aus
Salona, das im Kunstgewerbemuseum zu Berlin,
das im Campo Santo zu Rom, wie viele
andere haben auf der Spitze des Deckels eine
Vogelfigur als Abschluß. Das kann nicht Zufall
sein; an irgendeine symbolische Bedeutung
müssen wir schon denken. Die häufig auf-
tretenden „eucharistischen Tauben" in der
koptischen Kunst- und Bildersprache, die
Taube als Symbol der Seelen in den Kata-
kombenmalereien, sie sind mehr oder minder
klar in ihrer Bedeutung, nicht aber in ihrer
Verbindung mit dem Räuchergefäß. Zum
großen Teile haben die Tauben eine Öffnung
am Schnabel zur Aufnahme eines Ringes, der
wohl ein Kreuz trug. Es liegt durchaus nahe,
an den Totenvogel (Bäwit) der Kopten zu
denken, der besonders auf den christlichen
Grabstelen des öfteren wiederkehrt. Dazu
sind wir berechtigt, da fast alle Thuribula
dieser Art — bis auf das von Salona — in

ls) Westwood, »Anglo-Saxon and irish manu-
scripts« (London 1868) Tafel 46a.

•4) Elfenbeintafeln im Kunstgewerbe-Museum zu
Köln. Paris, Nation, Bibl. Manusc. grec 510, 64 f 108,
Brüssel, Bibl. Evangeliar des X. Jahrh., Ms. 9428, f. 160.
Elfenbeintafel im S. Kensington-Museum aus dem
IX. Jahrh. usf. Wichtig ist die Elfenbein taf el im
Domschatz zu Trier, deren Darstellung früher als
„Einbringung des hl. Rockes zu Trier" angesprochen
wurde, die Strzygowsky aber als „Einweihung dei
Irenenkirche zu Konstantinopel" nachwies.
 
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