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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0104

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143

1910.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

144

gefäß aus den heidnischen und jüdischen
Räucherpfannen entwickelt hat. Zunächst
wurde die althergebrachte Form noch bei-
behalten, so daß die Gefäße zum Schwenken
wie zum Aufstellen dienen konnten. Mit dem
VI. oder VII. Jahrh, verläßt man mit Ausschluß
der angelsächsischen Lande diese Gewohnheit
und bildet das Rauchfaß allmählich zur Kugel-
form um. Neben streng gottesdienstlichen
Funktionen diente es haupt-
sächlich auch dem Toten-
kult.

Friedrich Schneiderwies
seinerzeit mit vollem Recht
auf die auffällige Verwandt-
schaft eines frühmittelalter-
lichen Räuchergefäßes in
einer Pariser Privatsamm-
lung mit asiatischen Bron-
zen hin und zog zum Ver-
gleiche auch die beiden
silbernen Kraniche im ehe-
maligen Domschatze zu
Mainz heran, die in Lebens-
größe einstens neben dem
Altare standen und noch
1251 im Schatzregister er-
wähnt werden19). Ganz
ähnliche Kraniche, die als
Räuchergefäße konstruiert
sind, weist das Museum für
Kunst und Gewerbe in
Hamburg in seiner auser-
lesenen Japansammlung
auf20). Ein Aquamanile
im Germanischen Museum
spreche ich ebenfalls als
ein Gefäß an, das ursprüng-
lich zum Räuchern diente.
Ein Mann hält in den
Armen eine Schlange, die Abb-

ihr Maul unter dem Drucke der Hand weit
öffnet. Der Kran, der heute am Bauche
des hockenden Menschen angebracht ist,
erweist sich unzweideutig als spätere Zutat,
und die Vermutung, dieses Gefäß sei zum
Gießen wie zum Ablaufen des Wassers zu-
gleich eingerichtet gewesen, wird dadurch
hinfällig, daß die Hand des Mannes mit
dem geöffneten Schlangenmaul ganz außer-

19) „Kirchenschmuck" XXXI. S. 63 ff.
*°) J. Brinckmann, „Führer durch das Ham-
burger Museum" I. 140 ff.

halb der Achse des Behälters liegt, also als
Dille zum Ausgießen denkbar unpraktisch, fast
unbrauchbar ist. Es wird viele derartige
Gefäße gegeben haben, und wie sie, so haben
auch Aquamanile und Leuchter Form und
öfter auch den Gedanken der sonderbaren
Darstellungen an ihnen, wie beispielsweise die
turmbewehrten Elephanten, aus der Orient-
kunst herübergeholt. Was lag auch näher?
Das Interesse an phan-
tastischen, nie gesehenen
Tieren und Ungeheuern,
das durch die sasanidischen
Stoffe zum Norden drang,
wird sich auch auf andere
Bedarfsartikel übertragen
haben. Die liturgischen
Gebete mit ihren zahl-
reichen Anklängen an den
Kampf mit bösen Geistern
sowie die symbolische Be-
deutung der Gegenstände
selbst taten das ihrige hin-
zu, und so entstanden die
sonderbaren Bildungen, die
wir heute anstaunen.

Es ist nicht unwahr-
scheinlich, daß die ostasia-
tisch beeinflußten Bronze-
gefäße ■ entweder direkte
Importware oder Nach-
bildungen nach chinesischen
Originalen sind. Das ist
nicht zu bezweifeln, daß
das frühe Mittelalter die
Produkte der ostasiatischen
Kunst recht wohl gekannt
hat, wenn auch der direkte
Einfluß chinesischer Orna-
mente auf persisch-ägyp-
vu# tische Kunsterzeugnisse der

Webetechnik und der Keramik und von ihnen
weiter auf europäische erst im XV. Jahrh. zu
konstatieren ist. Ein in Gestalt einer Arti-
schocke auf durchbrochenem Stengel geformtes
Räuchergefäß im Kaiser-Friedrich-Museum zu
Berlin klingt für den koptischen Formenkanon
vollkommen fremd, und auch die Vergolder-
technik ist eine ganz andere als die landes-
übliche. Wie diese Einflüsse vor allem auch
in der nordischen Bronzekunst der romanischen
Periode sich geltend machen, sei einer späteren
Abhandlung vorbehalten.
 
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