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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0105

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145

1910.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

146

Die auf der Krim gefundenen Thuribula so-
wie die der späteren koptischen Periode weisen
uns den Weg zu der Form, die sich in der
Frühzeit des romanischen Stiles allgemein ein-
bürgerte. Von den öfters in Inventaren und
Berichten erwähnten Stücken der Karolinger-
zeit ist uns wohl kaum ein Stück erhalten ge-
blieben"1). Einzig das in Chateau- Renard,
das Fleury veröffentlichte, könnte für jene
Zeit in Anspruch genommen werden. Es ist
eiförmig gebildet, die drei Füßchen stehen
eng zusammen, und der Deckel hat schlichte
geometrische Durchbrechungen. An dieses
Stück schließen sich solche aus Eisen und
Bronze verfertigte im Bayrischen National-
Museum und im Kaiser-Friedrich-Museum zu
Berlin und ein besseres in der Sammlung
Schnütgen an, die ähnliche einfache Rauch-
löcher im Deckel aufweisen. Es war nur
noch das ausgebildete Formengefühl der
romanischen Periode notwendig, um von
diesem Typus zu dem späteren allgemein ge-
bräuchlichen zu gelangen, der unter Beibe-
haltung der kugeligen Grundform immer wieder
neue Gestalten schuf durch Abschneiden von
Kalotten an drei oder vier Seiten und vor
allem durch reichere Gestaltung des Deckels.
Mit dem XI. oder XII. Jahrh. setzen die
überaus zahlreich erhaltenen Thuribula in den
Museen und Kirchkammern ein, und ohne
Unterbrechung können wir nunmehr einzig
fast an der Hand gut konservierter Stücke die
Entwickelüng verfolgen bis zu dem Augen-
blicke, wo die kirchliche Kunst retrospektiv
arbeitend mit der Nachahmung alter Muster
wieder einsetzt. Es ist fast selbstverständlich,
daß die Kleinkunst, die sich auf allen Gebieten
als gelehrige Schülerin der Architektur erwies,
auch auf die kirchlichen Gebrauchsgegenstände
zweiten Rangesihre Vorliebe für architektonische
Gliederung übertrug. Und was der reiche
plastische Schmuck in Stein und Holz an
Pflanzen- und Tierornamenten bot, das wurde
alles auch in Metall übertragen mit dem jener
starken Kunstepoche so eigenen Feingefühl
und Verständnis für richtige Materialbewertung.
Nicht zum mindesten haben auch die farben-
und formenfrohen Miniaturen herhalten müssen,
um für die immer wieder wechselnden Motive
der Thuribuladeckel das Material zu liefern.

21) Fleury, R. de, »La Messe« V. 155, vergl.
auch ebend.Taf. 175, 4.

Die vier abgeplatteten Seiten des Feuer-
beckens zieren groteske Masken, der Deckel
aber erhält durch die Überführung der Kreis-
grundform in das Viereck die Möglichkeit,
sich architektonisch aufzubauen. Zunächst
sind es schlichte Dachgiebel mit Fenster-
öffnungen oder mit Tierornamenten; allmäh-
lich aber bauen sich diese ineinander ge-
schobenen Dächer aus zu einer vollständigen,
oft gar komplizierten Burg- und Stadtanlage.
Daß man im XII. und XIII. Jahrh., als die
Symbolik in der nordischen Kunst ihre ersten
Triumphe feierte, diesen Deckelaufbauten den
Gedanken an das himmlische Jerusalem unter-
schob, wie wir es in den Mosaiken der nach-
konstantinischen Zeit finden, steht ganz außer
Zweifel. Ein entzückender, aber durchweg
ernster Naturalismus kommt zum Durchbruch,
ein kleines köstliches Stückchen Märchenwelt
wird uns geboten. Durandus gibt uns Auf-
schluß darüber, was man alles selbst in die
äußere Gestaltung des Thuribulums hinein-
legte an spitzfindigen Gedanken und Ideen.
Die uns erhaltenen Gefäße, besonders die
reicheren, zeigen uns aber auch, daß der
Verfertiger oder vielmehr der Auftraggeber
tatsächlich unter den kompliziertesten theolo-
gischen Gesichtspunkten seine Entwürfe fertigte.
Nach jeder Richtung hin ein Musterstück ist
das Weihrauchfaß, das seinerzeit der kunst-
sinnige Bischof Johann Georg Müller von
Münster als Weihbischof von Trier in einer
kleinen Kirche im Trierischen fand und ins
bischöfliche Museum daselbst überführen ließ22).
Es stammt aus dem XII. Jahrh. und dürfte
wohl das reichste sein, das bislang gefunden
wurde. Wenn ich eine Vermutung über seinen
Geburtsort aussprechen darf, so möchte ich
es der Hildesheimer oder westfälischen Schule
zusprechen, der trierischen oder Moselgegend
kann es nicht wohl zugewiesen werden, da
die ornamentalen Formen ganz andere sind
als die jener Gegend und zudem mit denen
übereins gehen, welche mit Sicherheit in den
Nordosten Westfalens oder nach Hildesheim
selbst als Entstehungsort zu verlegen sind.
Der Deckel ist ausgebaut mit Zinnen, Türmen,
Apsiden und Fenstern als das himmlische
Jerusalem. Dazwischen zwängt sich reiches
Laubwerk, in dem Menschen und Tiere sich

22; Didion, Ann. archeol. 12?. pa*;. 357 f. Die
Abbild, dort völlig unzureichend und ungenau.
 
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