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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0121

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167

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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See (Kleinasien), das mit orientalischem Ge-
schmack nach europäischen Vorbildern der
Hochgotik gearbeitet wurde. Das Becken ist
sechsseitig, der Deckel als Zentralbau mit
sechseckigem Mittelturm gedacht, der wiederum
von sechs kleinen Kuppeltürmen umstellt ist.:
Auf den Becken Wandungen stehen die Bilder:
Christus, Maria, Johannes der Täufer, Basilius,
Chrysostomus und Gregorius. Griechisch-
orientalischem Brauch entsprechend sind die
Ketten mit Schellen besetzt29).

Die Renaissance bot im Grunde keinen für
eine Weiterentwickelung des Rauchfasses
günstigen Formenschatz. Deshalb hält der
Gelbguß auch, wie die Goldschmiedekunst, in
vielen Teilen noch lange an den
überlieferten Formen fest. Wozu
die Prunksucht der Renaissance die
Kleinkunstauf diesem Gebiete treiben
konnte, das erweist zur Genüge das
zugleich unbestritten reichste und
in der Ausführung der Einzelteile
kunstvollste
Thuribulum,
das uns die

italienische
Renaissance /,-

überliefert
hat, als des-
sen Verferti-
ger kein Ge-
ringerer als

Benvenuto
Cellini ge-
nannt wird.
(Abb. VIII.)

Es wird in der „Opera" des Domes zu Orvieto
in Italien aufbewahrt. Die Grundform ist die
einer im regelmäßigen Sechseck konstruierten
Stangenlaterne, wie sie etwa bei Prozessionen
benutzt wird. Freistehende Säulchen flankieren
die Ecken und die dazwischen liegenden oben
rundbogig geschlossenen Felder sind in
ziseliertem und emailliertem Bändel- und
Rankenwerk durchbrochen. Das alte, aus der
Zweckmäßigkeit herausgewachsene Verhältnis
zwischen Feuertopf und Deckel ist vollkommen
fallen gelassen, und nichts verrät nach außen
hin die Aufgabe des Gefäßes. Glücklicher,
aber auch viel anspruchsloser ist ein Thuri-

Abb. x.

29) Abgeb. „Katalog der Sammlung Sarre, Erzeug-
nisse islamitischer Kunst, Teil I (Metall)" (Berlin 1906)
S. 52, Abb. 43.

bulum in Veg-Ardö in Ungarn gearbeitet, es
behält aber im großen und ganzen die über-
lieferte Form des schwereren Topfes und
leichteren Deckels bei. Charakteristisch bei
den Weihrauchgefäßen der Folgezeit ist das
eine Merkmal, daß die vielgestaltige Grundriß-
bildung durchweg verschwindet und dem in
Bauchungen und Halsringen getriebenen bzw.
gedrehten Kessel Platz macht. So hat es
auch der Barock und selbst der Rokoko ge-
handhabt. Gerade für diese beiden Epochen
haben wir eine große Fülle von Abbildungen
in den vielen tausend Ornamentstichen jener
Zeiten. Der Stecher Habermann allein hat
deren ein Dutzend von verschiedenen deutschen
und französischen Zeichnern in
seinen Sammlungen veröffentlicht.
Mehr als Kuriosum denn als
Musterbeispiel sei zum Schluß das
Riesenrauchfaß des Domes von
S. Iago di Compostella in Spanien
angeführt. In barocken Formen ge-
halten er-
reicht es eine

ungefähre
Höhe von
1 m; sein
Gewicht ist
so groß, daß
ein Tragen
unmöglich ist,
und das In-
strument wie
eine Turm-
glocke mit
seinen Ket-
befestigt ist. Sieben
ebensoviele Zugstricke

ten an
Männer

einem
setzen

Rade
durch

Rad und Gefäß in Bewegung, das in weitem
Bogen durch die Kirchenhalle schwenkt. Es
ist lediglich als Auswuchs südländischen Un-
verstandes und Prunksinnes entstanden.

Rauchfässer der Empirezeit sind verhältnis-
mäßig selten. Sie richten sich in ihrer Form
ganz nach dem Zeitgeschmack und erinnern
mit ihren Lorbeergehängen und Schleifen wie
in ihrer ganzen Gestaltung mehr an antike
Vasen denn an ein liturgisches Gefäß80).

Zum Weihrauchfaß, dem Thuribulum, ge-
hört ein zweites Gefäß, das incensorium, die

80) Gutes, charakteristisches Exemplar in der Samm-
lung Schriütgen und in der Kirche zu Gutenzeil
Württemberg.
 
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