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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Über sogenannte "englische Stickereien" des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0149

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213

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

214

Über sogenannte „englische Stickereien" des XV. und XVI. Jahrhunderts.

(Mit Abbildung.)
ie „Sammlung Schnütgen" gelangte

unlängst in den Besitz eines ebenso
eigenartigen wie wichtigen Para-
mentenstückes, das wegen starker
Schadhaftigkeit dem liturgischen Gebrauche
entzogen werden mußte. Es ist ein Chor-
mantel von verhältnismäßig geringen Dimen-
sionen, mit erneuerten Stäben und Rücken-
schild. Unsere Abbildung läßt die späteren
Zutaten fort. Der Grundstoff ist braunroter
Seidensamt; die Stickereien sind auf grobem
Leinen hergestellt und appliziert. Das Zentrum
der frei auf den Grund geworfenen Stickereien
bildet das Bild einer sitzenden Madonna mit
Kind, zu ihren Seiten je ein huldigender
Engel. Das ganze Bildchen schwebt in weit
ausladendem Strahlenkranz. Das Gewand der
Gottesmutter ist im' wesentlichen aus starken
Häutchengoldfäden hergestellt, unter starker
Betonung des Gefälteis, das mit Kordel unter-
legt und mit Seidenfäden konturiert ist. Neben
dem Madonnenbild schweben an jeder Seite
je zwei Cherubim mit Spruchbändern. Die
Flügel sind sehr zottig dekorativ behandelt;
aus den Oberschenkeln wachsen federbesetzte
Zotten, und der ganze Körper ist schuppen-
artig mit Federn besetzt. Die Füße der Engel
stehen auf Rädern, um den Kopf legt sich
der Glorienschein. Ein gleicher Engel schwebt
auch zu Füßen der Gottesmutter. Die sonder-
baren Engelgestalten gelten dem Heilands-
kinde auf den Armen der Mutter, die übrigen
Ornamente aber, Lilien, Blumenkelche und
Glocken, scheinen als Symbole der Madonna
gedacht zu sein. Die Blumen sind zum großen
Teile farbig, die Glocken wie die streng
stilisierten Lilien sind auf kräftiger Kordel
in Gold gestickt. Kühne Schnörkel und
lange Strahlen legen sich in die Ecken der
Blumen und umschließen die Engelfiguren,
kleine Ringpailletten legen sich traubenartig
um das Gezweige, so daß die Stickerei ins-
gesamt einen durchaus geschlossenen Eindruck
macht und trotz der Applikation weich auf
dem kräftigen roten Untergrund steht.

Macht schon der Mantel an sich als große
Leistung der Stickkunst Anspruch auf Be-
achtung, er tut es noch mehr, wenn wir ihn
eingruppieren in die ziemlich stattliche Serie
ähnlicher oder gleicher Ausführung, die bis-

lang stets unter der Bezeichnung „englische
Stickerei" in der Geschichte der Paramentik
bekannt war. — In einer Zusammenstellung
wollen wir versuchen, die gesamte Gruppe
zeitlich wie örtlich festzulegen. Wichtig ist
von vorneherein die fest verbürgte Tatsache,
daß der hier abgebildete Chormantel, der in
Westfalen erworben wurde, Ende des XVIII.
Jahrh. während der Schreckenstage der fran-
zösischen Revolution aus Frankreich geflüchtet
wurde. Ursprüngliche Besitzerin war niemand
anders als die berühmte Chartreuse bei Gre-
noble, deren damaliger Abt vor den Revolutions-
helden mit einem Teile seines Kirchenschatzes
nach Westfalen flüchtete und vor seinem dort
erfolgten Tode testamentarisch den Chormantel
der Kirche vermachte, die ihn gastlich aufge-
nommen hatte. Mir sind außer diesem Stück
in Deutschland noch zwei andere bekannt
geworden, zwei Kasein mit genau demselben
gestickten Kreuz, von denen die eine auch
in Westfalen, die andere in Laurenzberg im
Kreise Jülich sich befindet; ein weiterer Chor-
mantel zweifellos derselben Provenienz, nur
von unvergleichlich größerer Schönheit, befand
sich früher in der Pfarrkirche zu Marienbaum
und ist leider ins Ausland, in das South Ken-
sington-Museum zu London gewandert. Zahl-
reicher sind Stickereien in dieser Art in Eng-
land, vereinzelte auch in Frankreich vertreten.
Eine Kasel in genau derselben Aufmachung
wie die in Laurenzberg veröffentlichte de Farcy
als in seinem Besitze befindlich.') Er hält
dafür, daß diese wie die anderen von ihm
veröffentlichten Kasein ursprünglich nichts
weiteres denn beschnittene Chormäntel seien.
Mit Rücksicht auf das Tafel 69 abgebildete
Exemplar könnte man leicht zu dieser Ansicht
kommen; man sieht deutlich, daß der jetzige
Zustand nicht der ursprüngliche ist. Oben
unterhalb des Halsausschnittes zeigen sich die
Spuren einer abgetrennten Stickerei, wahr-
scheinlich einer Madonna, einer Krönung
Mariens oder dergleichen, die wie bei unserem
Chormantel in einen Strahlenkranz eingebettet
lag. Auch muß auffallen, daß alle Meßge-
wänder, man kann fast sagen, in roher Weise
aus dem mit Stickereien benähten Stück

') de Farcy, >La broderie du XI siecle jusqu'ä
nos jours« (Angers 1890) a. a. O., pl. 68.
 
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