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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Braun, Joseph: Die englischen Alabasteraltäre
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0165

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235

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

236

durch die heiligen drei Weisen, Maria Tod,
ihre Aufnahme, ihre Krönung, ihre Glorie.
Dann kehren oft wieder Darstellungen aus dem
Leiden Christi: Abendmahl, Fußwaschung,
Verrat und Gefangennehmung, Jesus vor Pi-
latus, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung,
Christus am Kreuze, Abnahme vom Kreuz,
Abfahrt zur Vorhölle, Auferstehung, Auffahrt.
Weitere mehrfach vorkommende Gegenstände
sind der Jessebaum und die Trinitas, Gott
Vater thronend, mit dem Gekreuzigten in den
Händen, vor der Brust die Taube. Von
Szenen aus dem Leben der Heiligen scheinen
sich einer besonderen Beliebtheit erfreut zu
haben solche aus der Legende der hl. Katha-
rina und des hl. Georg. Noch öfter begegnet
uns eine Tafel, auf welcher das Haupt des
hl. Johannes des Täufers, wiedergegeben ist,
und zwar in der Regel von zwei kleineren
Ganzfiguren männlicher oder weiblicher Heiligen
begleitet. Übrigens sind es nicht bloß Gruppen,
welche die Reliefs enthalten; zahlreich sind
auch solche mit Emzelfiguren, wie Aposteln,
dem hl. Johannes dem Täufer, dem hl. Aegidius,
dem hl. Remigius, dem hl. Thomas von Kanter-
bury, den hl. Erzdiakonen Stephanus und
Laurentius, dem hl. Erzengel Michael, dem
hl. Georg, der hl. Katharina, der hl. Marga-
reta u. a.

Viktor Gay charakterisiert die Tafeln in
seinem Glossaire mit den Worten:2) Les
panneaux composent des figures de haut-relief,
d'une Silhouette un peu seche, aux traits proe-
minents, tailles avec une hardiesse qui n'exclut
pas un certain fini dans l'execution des dra-
peries; les yeux sont saillants, les mains tres-
concaves, manquent d'epaisseur; les cheveux
ne presentent pas ces lignes sinueuses, qu'on
retrouve partout ailleurs ä la meme epoque;
enfin le type des tetes a une etrangete qui
donne ä ces compositions une physiognomie
tout ä fait speciale. Diese Charakterisierung
ist ganz zutreffend. Es sind durchweg keine
eigentlichen Kunstwerke, diese Alabastertafeln.
Sie wurden vielmehr anscheinend handwerks-
mäßig für den Vertrieb durch den Handel ge-
geschaffen. Wohl zeigt sich bei verschiedenen
ein entschieden höher entwickeltes künst-
lerisches Empfinden, eine bemerkensweite
Tiefe der Auffassung und eine große Reife
der Darstellungsweise, so daß solchen un-

3) I, 21.

bedenklich die Bezeichnung Kunstwerk zu-
gebilligt werden kann. Es sind das nament-
lich diejenigen Reliefs, welche sich durch die
Art der stilistischen Behandlung als die
älteren und ursprünglicheren kund tun, unter
denen es wirklich ausgezeichnete und hervor-
ragende Arbeiten gibt. Aber solche künst-
lerische Qualitäten zeigen bei weitem nicht
alle Tafeln. Bei den meisten tritt der Zug
des Handwerksmäßigen so klar und so deut-
lich ausgeprägt zutage, daß man fast die
Augen schließen muß, um ihn zu übersehen.
Hand in Hand mit dieser handwerksmäßigen
Art geht die immer mehr Erstarrung in die
Figuren bringende Manier. Dieselben werden
lange, schmächtige, häufig wie ausgedörrte
Gestalten mit steifem Gestus, eckigen Be-
wegungen, schablonenhaften Gesichtern, in
denen die hervortretenden Backenknochen,
vorspringenden Augen und der spitze Mund
auffallen, und enganliegende Kleidung. Ge-
fällig bleibt indessen bis zum Schluß der
Faltenwurf der Gewänder, der stets etwas
Elegantes, Fließendes behält und nirgends zu
dem oft so häßlichen Geknitter wird, welches
die deutschen Skulpturen des ausgehenden
Mittelalters kennzeichnet. Übrigens dürfen
selbst die handwerksmäßig gearbeiteten Tafeln
bei allen ihren Schwächen als Ganzes noch
als recht ansprechend und wirkungsvoll be-
zeichnet werden, namentlich da, wo sie nicht
als Einzelstücke vor uns stehen, sondern wo
sie im Verein mit andern noch ihren ursprüng-
lichen Standort haben, was freilich jetzt nicht
häufig ist. Über der vortrefflichen Wirkung
des Ganzen vergißt man in solchen Fällen
leicht und gern die Mängel und Manieren im
einzelnen. Eine Entwicklung zeigt sich in den
Alabastertafeln fast nur nach der einen Seite
hin, daß die ursprünglich größere Natürlichkeit
der Darstellungen dem Typus und der Manier
in Haltung, Komposition und Faltenwurf
weicht.

Was die Bemalung der Reliefs anlangt,
so fällt auf, daß eine vollständige Polychro-
mierung fast nie zur Anwendung gekommen
ist. Das Material als solches sollte in erster
Linie wirken. Farbe erhielten nur bestimmte
Teile, meist nur Nebensächliches, doch ist die
Bemalung sehr geschickt angelegt, so daß der
Alabaster der Hauptpartien durch sie um so
wirkungsvoller zur Geltung kommt. Der Fond
der Reliefs ist gewöhnlich vergoldet; Boden
 
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