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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Karolingisch-ottonische Einflüsse in der Architektur der Krypta zu Vreden i.W.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0190

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275

1910. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

276

An sich wäre das Ereignis der Translation der
hl. Felicitas am ehesten mit einem Bau bzw.
Neubau in Verbindung zu bringen. In diese
Zeit aber paßt der Formenkanon von Vreden
nicht recht hinein; zu wenig klassizistisch sind
Anlage, Raumdisposition und Detail, wenn
auch eine Beeinflussung durch karolingische
Elfenbeine nicht ganz wegzuleugnen ist. Ten-
hagen erwies, daß bedeutende Teile des Lang-
und Querhauses der Äbtissin Adelhaid zuzu-
schreiben sind10). Zwei bedeutsame Krypten-
anlagen fallen in ihre Zeit, die der Abdinghoff-
kirche zu Paderborn (eingeweiht 1023) und zu
Essen (eingeweiht 1051), als dritte könnte
füglich die zu Emmerich noch herangezogen
werden, die aber eine bemerkenswerte Weiter-
entwicklung bedeutet. Ich neige dazu, Vreden
zwischen Abdinghoff und Essen zu legen, oder
auch gleichzeitig mit ersterem. Ein wichtiger
Faktor scheint mir der zu sein, daß die Krag-
steine der (vermauerten) romanischen Fenster-
bögen an der Oberkirche nicht radial gestellt
sind, infolgedessen der Bogen selbst durchweg
nicht genau die Form des Halbkreises hat, eine
Baueigentümlichkeit, die meines Wissens um
1000 verschwindet11). Die Krypta in Essen hat
in beiden Bauperioden, der des X. wie des
Xl.Jahrh. dieselben, oder ganz ähnliche Pfeiler-
motive aufzuweisen wie die Vredener. In
Essen baute Theophania, die Nichte der
Äbtissin Adelhaid von Vreden, und so ist
diese Verwandtschaft gar nicht verwunderlich.
Da die Essener Kryptenerweiterung im Jahre
1051 eingeweiht wurde, die Äbtissin Adelhaid
aber bereits zu Anfang des Jahres 1044 starb,
drängt sich von selbst die Vermutung auf,
daß der Vredener Bau der ältere sei12). Die
charakteristischen Formen der Pflaster und
Pfeiler, wie die bereits erwähnten Fensterbögen
geben den „Status ad quem", die Gewölbe-
gurten wie die vollständig reife Einwölbung

10) Tenhagen in »Zeitschrift für vaterländische
Geschichte« Bd. 48, S. 150.

u) Vergl. des Verfassers „Der St. Patrokli-Dom zu
Soest" (Münster 1905), S. 19 f. und Humann „Zur
Gesch. der karol. Baukunst" (Straßburg 1909) S. 50 ff-

13) cf.Clemen, »Kunstdenkmäler der Rheinprovinz«
II, 2, S.23, Humann, »Bonner Jahrb. LXXX, S. 207.
Interessant ist, wie M. Creutz in seinem in diesem
Hefte besprochenen Buche „Die Anfänge des monu-
mentalen Stiles in Norddeutschland" auf Grund rein
stilistischer Anklänge das Grabmal der Adelhaid in Quedlin-
burg mit der Gegend von Verden in Verbindung bringt,
eine Feststellung, die durch unsere archivalischen Notizen
eine glänzende Bestätigung findet. Creutz, 1. c. S. 60 ff-

selbst meines Erachtens den „a quo", nämlich
die Zeit um 1000.

Daß die Erweiterung durch den kleineren
Ostbau nicht viel später zu verlegen ist,
das deuten manche Formenverwandtschaften
zwischen beiden Teilen an. Ein um Vreden
hochverdienter Mann, Erzbischof Liemar von
Bremen, dem in der Stiftskirche ein Denkmal
errichtet wurde, wird als Erbauer der Lang-
schiff-Erweiterung -und des Chores um ein
Joch zu betrachten sein. Das X. wie auch
die erste Hälfte des XL Jahrh. kennen nur
Bauten, in denen die Länge des Hauptschiffes
zwei oder drei Breiten beträgt, vier Breiten
kennt erst die spätere Zeit.13) Liemar regierte
1085—1101. An den ihm zugeschriebenen
Teilen des oberen Baues tritt, wie in dem
Ostteil der Krypta, das Eckblatt als Basen-
schmuck der Säulen auf, wie bereits gesagt,
wohl zum erstenmal im sächsischen Baube-
zirke.14) Der ersten Bauperiode in Vreden
wäre also zuzuschreiben das ganze Querschiff
mit der Sakristei sowie der Westteil der Krypta
mit der Confessio, der Periode Liemars die
Neueinwölbung von drei Jochen des Lang-
hauses, die Verlängerung um zwei Joche nach
Westen und ein Joch am Chore, sowie die Er-
weiterung der Krypta nach Osten. Die gotische
Bauperiode ist für unsere Untersuchung nur
insofern von Bedeutung, als sie die geringfügige
Verstümmelung des Kryptenchores vornahm.

Die Einkreisung der Baudaten durch archi-
valische Notizen, wie wir sie in Vreden vor-
nehmen können, ist für die Architekturge-
schichte immerhin von großer Bedeutung,
zumal wenn es sich um die Frühzeit handelt,
um die Uranfänge einer sich langsam ent-
wickelnden heimischen Architektur. Nirgends
ist diese Periode interessanter als gerade im
Bereiche des alten Sachsenlandes, wo ein
kerniges Volk unter der zielbewußten Leitung
bedeutsamer Künstler im geistlichen Gewände
mit ihm von Haus aus ganz fremden Formen
und Vorstellungen ringt, wo jedwede Über-
lieferung rückwärts fehlt und die Heimatkunst
erst in die Taufe steigt. Vreden bildet hier
einen der interessantesten Abschnitte der Ent-
wicklungsgeschichte.

Köln. Fritz Witte.

") Dehio u. v. Bezold, a. a. O. I. 207.
H) Über Liemars Beziehungen zu Vreden vergl.
ZeilschriftfürvaterländischeGeschichte. Bd.54. S. 195ff.
 
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