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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Schnütgen, Alexander: Die Sammlung Schnütgen, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0203

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291

1910.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

2U2

im Fortschritt der Entwickelung, die Auf-
merksamkeit zwei mit Leuchter und Schelle
versehene, mithin als Akoluthen behandelte
Engel, die sehr flott bewegt, die ganze durch
Übertünchung bewahrte Frische der ursprüng-
lichen Polychromie zeigen. — Die meisten
Figuren des farbenfreudigen Mittelalters haben
im XVII. und XVIII. Jahrh. einen gewöhnlich
weißlichen Ölfarbenanstrich erfahren, der nicht
nur den Reiz des nach ganz bestimmten Ge-
setzen ausgeführten Kolorits vollständig ver-
deckt, sondern auch die Feinheiten der Linien
und der Modellierung zugeschmiert hat. Bis vor
etwa zwei Jahrzehnten war es nämlich die fast
allgemeine Gepflogenheit der Sammler und
Antiquare wie der Bildhauer, solche Tünche
durch Lauge zu entfernen, also den Holzton
herzustellen, namentlich bei Eichen figuren.
Durch dieses radikale Verfahren sind Kunst-
werte massenhaft zerstört worden, denn die
Bemalung hatte der Figur, die auf sie be-
rechnet war, erst die Vollendung gegeben,
damit den bei weitem höheren Wert. ' Wie viel
Unheil dieses Verfahren angerichtet hat, be-
weist die große Anzahl der abgelaugten, aus-
geglichenen und gewachsten Holzfiguten in
allen Sammlungen. Allmählich ist die Unrich-
tigkeit dieses Verfahrens aufgedämmert, zuletzt
aber so gründlich, daß die Erhaltung der ur-
sprünglichen Polychromie jetzt zum großen
Preissteigerer geworden ist im antiquarischen
Betrieb. Wo nämlich unter der Öltünche die
Bemalung sich erhalten hat, ist das vorsichtige,
daher mühsame und kostspielige Abschabe-
verfahren das einzige Mittel, sie wieder auf-
zudecken; und manche geschickte Hand ist
jetzt in diesem Sinne tätig, auch auf meine
Veranlassung und in meiner Sammlung bereits
eine Reihe von Jahren, mit bestem Erfolg. —
Bei den beiden großen Figuren zuunterst
links, besonders dem Ritter, bedurfte es des-
selben nicht, während der spätgotische St.
Sebastianus dazwischen, eine vorzüglich be-
wegte und modellierte Eichenholzstatue, beim
Eintritte in meine Sammlung den Prozeß leider
bereits hinter sich hatte. — Auf dem spät-
gotischen Eichenschrank, Sakristeiankleidetisch,
stehen imVordergrunde einige kleine Statuetten,
unter denen eine hl. Cäcilia mit der Orgel, in
interessanter Frührenaissancetracht, belgischer
Provenienz, außerdem ein überaus zierlicher
Buchsbaumhobel mit der Aufschrift FRANTZ
IVL1YS STATVARIVS ANNO 1628, ein in

Görlitz erworbenes und wohl auch entstan-
denes Meisterstück allerersten Ranges. — Der
spätgotische rheinische Votivschrein da-
hinter mit demmächtigen, reich durchbrochenen
Maßwerkbaldachin hat zwei flügelartige be-
malte (St. Johann Baptist und St. Sebastianus)
Vorderklappen, zwischen denen eine sitzende
Madonna des XIV. Jahrh., als Ersatz für die
verschwundene spätgotische Figur (Madonna
oder Selbdritt).

Der daneben an der Ecke des Ankleide-
tisches, auf der Abbildung viel zu stark sich
geltend machende, daher einige gute Reliefs
beeinträchtigende Prozessionsleuchter stammt
aus Bremen, wo er auch entstanden sein mag,
obwohl solche, dem späteren Mittelalter und
den beiden folgenden Jahrhunderten sehr ge-
läufige Lichtträger vornehmlich auf süddeutschen
(bayerischen) Ursprung hinweisen. Von den
Bildschnitzern mehr fabrikmäßig gemacht, von
den Faßmalern ebenso gefärbt, sind sie auf
die dekorative Wirkung berechnet, die den
mit ihnen versehenen Räumen gut zustatten
kommt, sehr dankbare,weil Perspektiven bildende
Aufstellungswerkzeuge, daher auch als solche
mit Recht beliebt. Im vorliegendem Falle
durchschneidet die gewundene Stange unten
den plastischen Inhalt eines Gestells, dessen
Seitenteil wiederum eine maßwerkverzierte,
westfälische Chorstuhlwange ist. Auf demselben
stehen, außer den beiden englischen hoch-
gotischen Alabasterstatuen rechts und links,
die drei Bopparder Statuetten, von
denen zwei hier Bd. XX Tafel X abgebildet
sind, auch diejenige, die leider auf unserer
Tafel verdeckt ist. Die über ihren Frontispiz-
bekrönungen an der Wand hangenden Kasten-
reliefs sind nicht deutlich genug zum Ausdruck
gekommen, um einer näheren Beschreibung als
Vorlage dienen zu können. — Es sei daher
nur noch auf den in der Mitte des Zimmers
schwebenden Leuchter hingewiesen, obwohl an
ihm nur die Mittelfigur des Heilandes alt ist,
ein hochgotisches Flachrelief, dessen ebenfalls
drapierte Rückseite in Verbindung mit den
Mandorlastrahlen den Gedanken an die frei-
schwebende Bestimmung als Leuchter nahe legte.
Daß das Verhältnismäßig kleine Skulp-
turen-Zimmer trotz der Überfüllung, nicht nur
einen lehrhaften, sondern auch einen gefälligen
Eindruck machte, in dem fast kein Gegen-
stand verschwand, war nur der kastenförmigen
Gruppierung zu danken. Schnütgen.
 
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