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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Waal, Anton de: Der Wandtabernakel und die eucharistische Pyxis in San Damiano bei Assisi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0236

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345

1910. -± ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

346

Gefolge ihrer Schwestern gemalt, die aus einem
Stadttor kommen, alle mit gefaltenen Händen
in Anbetung nach dem Schränkchen gewendet.
Clara allein hat den Heiligenschein; wie bei
den Engeln, so sind auch bei ihr kleine
Kreise oder Ringe in den frischen Stuck der
Aureola eingedrückt, aber außerdem kehrt
ringsum der Stempel eines Siegels wieder, der
oben die Madonna mit dem Kinde, darunter
einen betenden Mönch (Franziskus?) darstellt.
Die Umschrift wird sich mit der Lupe ent-
ziffern lassen: wahrscheinlich ist das Kloster-
siegel von Portiuncula hier verwendet worden.
Die Engel wie die Gruppe der Ordensfrauen
stammen aus ein und derselben Zeit: XIII.
Jahrh. und nicht lange nach dem Tode der
hl. Clara.

Wir stehen also hier vor einem Wand-
tabernakel oder Sakraments-
häuschen, wie es ein solches u. a.
in San demente mit gotischem
Außenschmuck und ein anderes
in der Apsis von Santa Croce in
Gerusalemme gibt, das noch heute
zur Aufbewahrung des hl. Sakra-
ments dient. Daß diese Wand-
täbernakel noch bis in das
XV. und XVI. Jahrh. allgemein
in Verwendung waren, lehren
die zahlreich auf uns gekommenen

Marmorvorsätze von Mino da Abb. 2. Eudiaristische Elfenbein
Fiesole, Donatello und anderen
Meistern, wie wir sie, heute meist zur Auf-
bewahrung der hl. Öle verwendet, in Sta
Maria in Trastevere, in San Marco, in der
Unterkirche von San Sebastiano, in der
Sakristei von St. Peter und anderwärts finden1).
Sehr selten dürften solche Wandtabernakel,
mit bemalter Dekoration auf der Außen-
und Innenwand, sein, wie wir eines hier in
San Damiano vor uns haben. In den Tagen
der hl. Clara fehlte wohl jede äußere Aus-
schmückung; arm, wie die Kapelle und das
Kloster, war das Repositorium für das hl. Sakra-
ment. Erst die kunstfieißigen Hände, welche

pyxis in dem Ostensorium.

') Bei Adolf Franz: »Die Messe im deutschen
Mittelalter«, S. 90 schildert Rupert von Deutz den
großen Brand, der am 20. August 1128 sein Kloster
bedrohte. In der vor den Toren liegenden Kirche
zum hl. TJrban wurden die hl. Hostien, die in einer-
hölzernen Pyxis in einem Wandschränkchen
auf bewahrt waren, von den Flammen unversehrt
erhalten.

die Grabkirche des hl. Franz ausmalten und
bei Portiuncula arbeiteten, haben auch hier
das Bild des Heilandes mit den Vertretern
der neun Chöre der Engel, sowie die Gruppe
der hl. Clara und ihrer Ordensschwestern ge-
schaffen; eine Vergleichung mit den Gemälden
in den vorgenannten Heiligtümern würde uns
wahrscheinlich hier wie dort denselben Meister
finden lassen. Leider fehlt heute das Türchen,
welches das Sakramentshäuschen verschloß und
das noch bis zur Mitte des vorigen Jahr-
hundertsvorhanden war; aber jedenfalls haben
wir hier ein ganz hervorragendes Beispiel
eines durchaus unversehrten Wandtabernakels
aus dem XIII. Jahrh. vor uns.

Als im XVII. Jahrh. von Rom aus für die
ganze Kirche die Aufbewahrung des Sanctis-
simum in einem Tabernakel auf dem Altar
vorgeschrieben wurde, war und
blieb unsere Nische verschlossen.
Niemand dachte später daran,
das Türchen einmal zu öffnen,
und wenn er es gewollt, so war
der Schlüssel dazu gewiß ■ im
Laufe der Zeit abhanden ge-
kommen. Endlich im Jahre 1852
hat man den Wandtabernakel
erbrochen —, und da fand man
im Innern jene Elfenbeindose
nebst einem Corporale. So ' be-
richtete mir der Generalvikar von
Assisi, und so liest man es auf
einem kleinen Zettel, der jetzt in der Alabaster-
pyxis unter der Kapsel liegt: Questa si ela
bassola dove s. Chiara teneva il San-
tissimo Sacramento e stata rescritta
nel 18522). Das rescritta läßt vermuten, daß
man beim Wiederfinden auch einen Zettel ge.
funden habe, der die Aufbewahrung der Eucha-
ristie in dieser Elfenbeindose oder in diesem
Wandtabernakel für die alte Zeit bezeugte. —
Für die Monstranz haben wir heute zwei
Grundtypen. Die eine hat sich aus der turris
entwickelt, aus jenem runden Türmchen mit
Helm, der den Deckel bildet, meist aus Kupfer
mit Blattornament in Email, wie sie uns viel-
fach in Museen begegnen. Es lag nahe,
dieses Türmchen auf einen Fuß zu stellen: man
braucht nur einen Kelch zu nehmen und die

2) Dieses ist die Dose, in welcher die hl. Clara
das hh. Sakrament aufbewahrte, und sie ist neu ge-
schrieben (wiedergefunden ? ?) im Jahre 1852.
 
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