Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

DOI Artikel:
Bücherschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0258

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
379

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

380

7 Abbildungen überraschende Aufklärung von ihm ge-
boten wurde. — Da bald auch dem Kunstverlag
Kühlens vom Metropolitankapitel gestattet wurde, den
Dreikönigenschrein draußen, bei vollem Tageslicht, auf-
zunehmen, und diese Aufnahmen zu den ersten scharfen
Wiedergaben führten, so war endlich die Zeit für die
Veröffentlichung gekommen. — Sie liegt vor in einer
geschmackvoll ausgestatteten Querfoliomappe; die außer
den 25 guten Tafeln 17 Abbildungen auf den 11 doppel-
spaltigen Textseiten bietet, also ein sehr reichhaltiges
Illustrationsmaterial, wie es bisher so schmerzlich ver-
mißt wurde. — An der Hand desselben liefert v. Falke
vom Schrein eine überaus sorgfältige, die kleinsten Einzel-
heiten berücksichtigende Beschreibung, eine schwierige
Aufgabe, die in dieser Bestimmtheit nur von ihm ge-
leistet werden konnte, zumal die mancherlei im Laufe
der Jahrhunderte erfolgten Verändern! gen (Verstümme-
lungen, Ergänzungen, Umstellungen) festgestellt werden
mußten. Durch die vollständige Vertrautheit mit dem
gesamten verwandten Material (namentlich in Kloster-
neuburg, Siegburg, Tournay) gelingt es dem Verfasser,
in durchsichtiger Analyse, die Meisterhand des Nikolaus
von Verdun nachzuweisen, der in den 90. Jahren des
XII. Jahrh. seine Arbeit vollendet hat, hinter welcher
der kurz darauf entstandene Rest an künstlerischer
Bedeutung erheblich zurückbleibt. ■—■ Hierbei erscheinen
hinsichtlich der Zeichnung die Emailstreifen, hinsicht-
lich der Modellierung die getriebenen Propheten-
und Apostelreliefs im glänzendsten Lichte, wahre
Großtaten der Plastik für alle Zeiten. — Dem Ver-
fasser bei seinen Untersuchungen und Beschreibungen
zu folgen ist ein wahrer Genuß, und daß viele ihn
sich vergönnen werden, ist um so sicherer anzunehmen,
als der Dreikönigenschrein an Popularität sämtliche
Metallschreine der "Welt übertrifft, jährlich von mehr
als 50 000 Besuchern der Schatzkammer besichtigt,
deren Hauptsehenswürdigkeit er ist. Schnütgen.

Le Mont-Saint-Michel. Histoire de l'Abbaye et
de la Ville, Etüde archeologique et architecturale des
Monuments par Paul Gout, archit. en chef des
Monuments historiques. Librairie Armand Colin,
Paris, br. 50 fr., kart. 65 fr. 1910. 2 Bde.
Über Mont-Saint-Michel ist schon viel geschrieben,
viel Gutes auch. Gout versucht die erste zusammen-
hängende Monographie auf breiter Basis und hat uns
ein Werk geschenkt von ebenso monumentaler Be-
deutung wie der von ihm behandelte Gegenstand.

Architekturgeschichtlich gehört S. Michel zu den
bedeutendsten und zugleich interessantesten Baudenk-
mälern Frankreichs, das sich, auf einer steilen Felsen-
insel im Meere gelegen, die vielen Kleidungs- und
Schmuckstücke, welrhe die Jahrhunderte in wechselndem
Geschmack ihm anlegten, bis auf diesen Tag in fast
jungfräulicher Reinheit bewahrt hat. Das gibt ihm
viel Anziehendes außer der wundersamen Lage als
vorgeschobenes Eiland, das seine Füße im blauen
Meere badet. Wer einmal die Seefahrt südwärts die
französische Küste entlang gemacht hat und das gar
am frühen Morgen, wenn die Nebel in den Kanal
ziehen wie wilde Heerhaufen, der wird des wunder-
samen Anblickes nie vergessen, den S. Michel bietet,
dagelegen wie ein Geisterschloß. Und die Geister
gingen auf ihm um seit mehr denn tausend Jahren:

Eine von den viel en Michaelsinseln istsie,
auf denen der Himmelswächter den Drachen bezwang.
Das gerade hätte Gout noch mehr hervorheben, mehr
mit archäologischem Sinn erfassen und erforschen
sollen, daß hier der Michaelsberg wie alle seine Brüder,
der in Cornwallis, der Urtypus auch auf dem sagen-
umwobenen Monte Gargano in Apulien die nationale
Lokalisieiung der Michaels- resp. Georgslegende er-
möglichte. Doch daran mag sich ein anderer Forscher
wagen, Gout ist Kunst- und Kulturforscher und wird
als solcher mehr als man gewohnt ist, seiner Aufgabe
gerecht, man darf sagen: er schließt ab. Der erste
Band baut systematisch auf: Ein ausgiebiges topogra-
phisches Kapitel bietet in peinlichster Akribie alles,
was bestimmend gewesen sein könnte für Entstehung
und Ausgestaltung des einst berühmten Wallfahrts-
ortes. Daran reihen sich in vier Kapiteln die ungemein
reichhaltigen historischen Notizen — in Kapitel II
(Origines et premiers develloppements du eulte de
saint Michel au Mont Tombe) hätte ich vernünftigen
und vorsichtigen Kombinationen mehr Raum vergönnt
— und ausnahmsweise lückenlos erzählen uns die
Notizen vom Kulturträger der gallisch-römischen Periode
bis in unsere Tage die JTauptdaten.

Nur wenige Frühbauten werden sich einer so reich
fließenden geschichtlichen Quelle rühmen können wie
S. Michel, reicht dieselbe doch zurück mit ihren Einzel-
angaben bis ins IX. Jahrh., um von 966 an ziemlich
ununterbrochen weiterzufließen bis zur Einziehung der
Abtei Ende des XVIII. Jahrh. An diese historische
Beschreibung an der Hand des urkundlichen Quellen-
materiales schließt der Verfasser einen Exkurs an über
kulturgeschichtlich hochbedeutsame Ereigrisse bzw.
Zustände, wobei vor allem auf die Geschichte des
Wallfahrtswesens und der Ritterorden im Mittelalter
hochinteressante Streiflichter fallen. Der III. Teil
(II. Bd.) behandelt geschlossen die Architekturgeschichte,
einsetzend mit der kleinen Einsiedlerklause und dem
Oratorium des hl. Aubert, die karolingische und roma-
nische Periode, die Entwicklung der um das Kloster
sich gruppierenden Stadt. Das letzte Kapitel gibt des
Verfassers prinzipiellen Standpunkt zur Konservierung
der Kunstdenkmäler, sowie die praktische Betätigung
desselben bei den Restaurationen von Mont-Saint-Michel
wieder. Bezüglich der französischen Anschauung in
diesen Dingen darf ich auf Clemens Schrift über den
Gegenstand verweisen; Gouts spezieller Standpunkt
spricht von zartestem Empfinden, von pietätvollster
Rücksicktnahme und von ausgeprägtem historischem
Sinn in solchen Fragen, und sind seine Restaurationen —
von ganz kleinen Details, so beim Ausfugen der Bruch-
steingewände — durchaus zu billigen, da sie nichts
vorzaubern, was gewesen sein könnte und schön sein
würde, sondern den Ursprungszustand, wie er sich aus
sichersten Anhaltspunkten ergibt. Auch der Klein-
kunst, speziell der kirchlichen, fällt mancherlei Neues
und Interessantes in dem Buche zu, und alle die
Einzelheiten werden in einer trefflichen historischen
Methode, ihrer Bedeutung entsprechend eingezeichnet,
behandelt; ich verweise dabei auf das bienenfleißig
gesammelte Material über Pilgerandenken, über Grab-
funde an Ort und Stelle, die uns wertvolle, datierte
liturgische Gebrauchsgegenstände bieten usf. Die Aus-
stattung des Werkes ist vortrefflich, die Aufnahmen
 
Annotationen