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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tafel I
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Witte, Fritz: Ein Wort über den Einfluß der englischen Stickkunst im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0013

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Abhandlungen.

Ein Wort über den Einfluß der
englischen Stickkunst im Mittelalter.

(Mit Tafel ] und Abbildung.)

s nter den mannigfachen
Techniken der Frauen-
Handarbeiten, die aus
den Schätzen der Mu-
seen und Sammlungen
erneut in die — wir
dürfen es wohl sagen
— Mode ihren Einzug
gehalten haben, steht
die Perlstickerei mit obenan. Eine Ausstellung
von Perlenstickereien verflossener Kunstepochen
in Stuttgart im Herbst des vorigen Jahres wird
die Vorliebe für diesen Zweig des Kunsthand-
werkes gesteigert und mancherlei zur Klärung
der Geschichte des letzteren beigetragen haben.
Dabei handelte es sich aber um das Zu-
sammentragen der mit unechten Glasperlen
usw. hergestellten Stickereien, die im Mittel-
alter verhältnismäßig selten und erst einer
späteren Zeit geläufig waren. Dagegen war
die Benutzung der echten, gewachsenen Perle
für Stickereien bereits im XII. Jahrh. eine
gebräuchliche, und eine ganz stattliche Reihe
von Stickereien aller Art — vornehmlich für
liturgische Zwecke — ist uns erhalten geblieben.
Zu den Arbeiten in Glasperlen, Korallen und
Metallperlen stehen sie insofern in einem
bemerkenswerten Gegensatz, als jene durch-
weg auf Pergament, vielfach in Verbindung
mit gestanzten Platten und Pailletten, dicht
nebeneinander gelegt sind, ohne daß die
eigentliche Stickerei mit Leinen oder Seide
zu Hilfe genommen wird, während in den
Arbeiten mit echten Perlen schon aus Gründen
der Sparsamkeit auch die Sticktechnik hinzu-
kommt. Die hervorragendsten Beispiele der
ersten Gattung sind einige Rundscheibchen
an einem Antependium des Domschatzes in
Halberstadt von ca. 1200, sowie eine köstliche
Perlenpyxis des XIII. Jahrh. in der „Sammlung
Schnütgen". Ich führe diese beiden Stücke mit
Fleiß an, weil ich in ihnen einen Hinweis auf
die Entstehung der Perlenstickerei überhaupt
erblicke. Daß der Ursprung der ungemein reich
wirkenden Perlenarbeiten in Byzanz zu suchen
ist, scheint außer allem Zweifel. Die Claven und

Säume der Hofgewänder von Ostrom, wie wir
sie auf Mosaiken usw. allenthalben finden, sind
mit Perlen übersäet. Wie sie auch einer viel
späteren Zeit noch vorbildlich gewesen, erweist
das in dieser Beziehung höchst markante
Grabmal Bonifaz' VIII. (f 1303) in der Unter-
kirche von St. Peter in Rom, wo dem Bild-
hauer ganz ohne Zweifel wie für das Porträt,
so auch für die Gewandung des auf dem
Sarkophage liegenden Papstes ein Modell zur
Verfügung gestanden. Verwandtschaft mit
Bvzanz erweisen auch die älteren mit Perlen
bestickten Kleinodien des hl.römischen Reiches.
Daß die aus Glas- und Metallperlen gefertigten
Arbeiten des Mittelalters ein nicht zu unter-
schätzendes Surrogat der kostspieligeren Email-
technik abgegeben und in Anlehnung bzw. als
Nachbildung neben dieser entstanden sind,
daran ist nicht zu zweifeln. — Ganz anders die
mit echten Perlen hergestellten Stickereien.
Das Bedürfnis nach prunkvollem Reichtum hat
sie ins Lebens gerufen, deshalb ist das Material
auch die echte gewachsene Perle. Die Marien-
kirche zu Danzig sowie der Domschatz zu
Prag bewahren mehrere ungewöhnlich reiche
Paruren auf, bei denen die als Schmuck
dienenden Figuren fast ganz aus Perlen her-
gestellt wurden, die dicht nebeneinander ge-
legt sind. Zu dieser Gruppe überladen wirken-
der Perlenstickerei ist auch die Mindener Mitra
im Kunstgewerbemuseum zu Berlin zu rechnen.
Um vieles anmutiger und materialentsprechen-
der dagegen sind zumeist die Stücke, bei
denen die Perlen auf einen leinenen reliefartig
gearbeiteten Untergrund aufgenäht erscheinen,
besonders wenn sie ornamentale geometrische
oder pflanzliche Motive wiedergeben, wie die
prächtige Kasel im Kunstgewerbemuseum zu
Berlin1), und die sogenannte Bernardskasel
im Münster zu Aachen2).

Etwas weiter geht der perlengestickte Kasel-
stab der Stiftskirche in Vreden, der immerhin
den schüchternen Versuch zeigt, die Perlen-
technik mit der des Stickens bzw. Goldlegens
zu verbinden. Trotzdem wirken die bislang
genannten Arbeiten aufdringlich zugleich und
plump, künstlerische Wirkung erzielen erst
die, welche die Perle mehr als schmückendes,

') Abb. bei Braun, »Liturg. Gewandung«, 101.
s) Ebend. Abb. 100.
 
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