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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Witte, Fritz: Der große Kruzifixus in Maria im Kapitol zu Köln und sein Alter
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0202

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Abhandlungen.

Der große Kruzifixus in Maria im
Kapitol zu Köln und sein Alter.

(Mit 2 Abb. - Tafel XII.)

[as hier unter Nr. 1 abge-
bildete Kruzifix hatte
! früher unten eine In-
ischrift: anno domint
MCCCIV in die 6. Bar-
baras virg. e. mar/, haec
crux veneranda benedicta
est . . . Die Möglichkeit ist vielfach bestritten
worden, daß das ganz von Realismus getragene
Kruzifix der Zeit angehören könne, von der
die Inschrifttafel spricht1). Die Notizen bei
Gelenius und Hartzheim, welche an dem Datum
1304 festhalten, ganz beiseite gelassen, ist die
Wahrscheinlichkeit zu erweisen, daß wir das
alte Kreuz vor uns haben, von dem in der
Inschrift die Rede ist. Zu beachten ist einmal,
daß das Kreuz genannt wird „veneranda". Es
gibt eine ganze Reihe fast gleicher Kruzifixe,
die merkwürdigerweise fast alle einmal als
wundertätig galten, oder noch gelten (Coesfeld-
Haltern usf.), so daß sie die begründete Ver-
mutung nahelegen, sie seien ohne Ausnahme
Nachbildungen eines irgendwo verehrten
wundertätigen Kreuzes. Wenn ich dabei an
Italien denke, so veranlaßt mich dazu zu-
nächst der Umstand, daß dort genau derselbe
Kruzifixus vielfach wiederkehrt (Sulmona, Castel
di Sangro, Rocca Cassale usf.), jedesmal wieder
als wundertätig gepriesen und öfters zurück-
geführtauf den hl. Franziskus v. Assisi. Ist dieser
Bericht auch legendarisch, er weist doch die
Richtung, in welcher man den Urtyp zu suchen
hat. Franziskus in seiner engen persönlichen
Beziehung zum Gekreuzigten, die in der Com-
passio seiner Stigmatisation gipfelt, hat einem
neuen, dem realistischen Kruzifix den Weg-
gebahnt. Wer sich darüber unerrichten will,
wie das beginnende XIV. Jahrh. auch am Rhein
über Christi Kreuzestod gedacht hat, lese die
Mystiker Tauler, Eckehart und Suso. „Da ich
an dem hohen Ast des Kreuzes . . . gehenkt
ward, da ward meine ganze Gestalt gar jämmer-
lich verwandelt . . . mein göttliches Haupt war

') Neuerdings in den »Bau- und Kunstdenkmäler«
Köln II. 1, S. 243 dort nähere Angaben.

von Schmerz und Ungemach geneigt . . . mein
rechter Arm war zerspannt und mein linker
gar schmerzhaft zerdehnt . . . mein heißes Blut
nahm in seinen Nöten manchen wilden Aus-
bruch, davon mein sterbender Leib verronnen
und blutig war"2). Auch die Form des Kreuzes
kann nicht stutzig machen, im Gegenteil,
sie ist typisch für die Zeit um 1300. Der
Gedanke an das lebende Kreuz äußert sich
zunächst dadurch, daß auf den Kreuzesbalken
ein zweiter naturalistisch gebildeter gelegt wird,
der truncus (vgl. Taf. XII Nr. 2)8). Aus-
gesprochen die Form des Kreuzes von Maria
im Kapitol, also des sog. Gabelkreuzes hat
vor 1278 bereits Niccolö Pisano an seinen
Kanzelreliefs, und auch die deutsche Kunst
entbehrt nicht der Belege dafür, daß um 1300
tatsächlich der stärkste Realismus den Ge-
kreuzigten ergriffen hat; ich verweise aut die
Tympanondarstellungen in Freiburg i. Br., in
Wimpfen i. T. usf., sowie auf die Siegel der
Kreuzkirchen in Rostock von 1309 und Strom-
berg von 13124). Interessante Beleuchtung er-
fährt unsere Frage sodann durch eine Notiz, nach
der im Jahre 130(3 ein Bildhauer Thydemannius
de Alemannia (also ein Deutscher) verhaftet
wird, weil er an einen Londoner Pfarrer ein
Kruzifix geliefert hat „mit einem Querholze, das
der wahren Gestalt des Kreuzes nicht entsprach".
Auch Einzelheiten am Kruzifixe zu Maria
im Kapitol selbst sprachen für das hohe Alter,
so vor allem die noch mit der romanischen
Kunst zusammenhängende Stilisierung der
Haare und das klar als perizonium behandelte
breite Gurtband. Noch einleuchtender wird
die Altersbestimmung, vergleichen wir den
Kruzifixus mit Nr. 2 (Sammlung Schnütgen), der
die Erinnerungszeichen an die spätromanische
Formenwelt klarer noch an sich trägt, trotz-
dem aber in dem ausgeprägt mystischen Ge-
halt der Figur als unmittelbarer Vorläufer des
Christus im Kapitol erscheint.

Küln.

Fritz Witte.

2) H. Scus es (Suso) »Deutsche Schrift«. W. Leh-
mann, 1911. Bd. II. S. 13 ff.

') Durandus, Rationale VI. c. 77. Sauer,
»Symbolik des Kirchengebäudes«, S. 24ö. Kraus,
»Kunstgeschichte« 11. I, S. 278.

♦) »Zeitschrift für christliche Kunst« 1895. S. 282.
Ludorff, Bau- und Kunstdenkmäler AVestf., Kreis
Beckum«, S. 71, Abb. 2.
 
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