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1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
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Mauerbann löste, die Schilderei mobil, zum
Möbelstück machte und so dem Maler unge-
ahnte Bahnen eröffnete? Betrachtet ihre
Tafelmalerei. Bald wich der hieratische
Goldgrund den reichsten und naivsten Dar-
stellungen der Natur und des täglichen
Lebens. Diese Beigaben, von der Legende
losgelöst, erhielten später selbständige Aus-
bildung und Bedeutung. Städtebild und
Interieur, Landschaft, Genre, Porträt, wie
sich glücklich schätzen, wenn sie nur den
vornehmen Sprößlingen als eifrige Dienstmagd
aufwarten durfte.
Sie konnten zusammen nicht kommen. — Die
Malerei, wiewohl höhere, freiere Lüfte suchend,
hielt doch an ihren Überlieferungen fest, sie
war von ihrer Wurzel nicht losgerissen ; gewiß
ein großer Vorteil. Aber nicht deutscher Erde
war diese Wurzel entsprungen, über die Saum-
pfade der Alpen war sie getragen und in
Abb.
Amsterdam, Jesuitenkirdie.
herrlich sie sich auch entwickelt haben, ihr
Ausgangspunkt war der gotische Flügelaltar.
Trotz alledem, die wiedererstandene Gotik
und die neubelebte religiöse Malerei, sie
konnten zusammen nicht kommen; mehrere
recht tiefe Gewässer hielten sie getrennt. Wie
gesagt, die Bildhauerei und gar die Malerei
standen nach eigener und allgemeiner Ansicht
auf weit höherer Stufe als die arme Baukunst.
Ihre erwachsenen, emanzipierten Töchter
hatten das Haus verlassen und fluksterten
auf Märkten und Straßen herum; kehrten sie
noch bei der Mutter ein, so mochte diese
nordische Erde verpflanzt, brachte sie doch
immer südliche Blüten und Früchte hervor.
Die Architektur hatte ihren letzten abgeflauten
Traditionen Valet gesagt. Parthenon und
Kölner Dom wurden die neuen freigewählten
Muster und Ideale der Baukunst. An den
Akademien fand aber nur der Klassizismus
ehrenvollen Eingang — der Gotik ward die
Tür vor der Nase zugeschlagen.
Als ich nach Berlin kam und mich an der
königlichen Bauakademie immatrikulieren ließ
— es war in der Konfliktszeit und Bismarck
noch der bestgehaßte Mann —, da leuch-
1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
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Mauerbann löste, die Schilderei mobil, zum
Möbelstück machte und so dem Maler unge-
ahnte Bahnen eröffnete? Betrachtet ihre
Tafelmalerei. Bald wich der hieratische
Goldgrund den reichsten und naivsten Dar-
stellungen der Natur und des täglichen
Lebens. Diese Beigaben, von der Legende
losgelöst, erhielten später selbständige Aus-
bildung und Bedeutung. Städtebild und
Interieur, Landschaft, Genre, Porträt, wie
sich glücklich schätzen, wenn sie nur den
vornehmen Sprößlingen als eifrige Dienstmagd
aufwarten durfte.
Sie konnten zusammen nicht kommen. — Die
Malerei, wiewohl höhere, freiere Lüfte suchend,
hielt doch an ihren Überlieferungen fest, sie
war von ihrer Wurzel nicht losgerissen ; gewiß
ein großer Vorteil. Aber nicht deutscher Erde
war diese Wurzel entsprungen, über die Saum-
pfade der Alpen war sie getragen und in
Abb.
Amsterdam, Jesuitenkirdie.
herrlich sie sich auch entwickelt haben, ihr
Ausgangspunkt war der gotische Flügelaltar.
Trotz alledem, die wiedererstandene Gotik
und die neubelebte religiöse Malerei, sie
konnten zusammen nicht kommen; mehrere
recht tiefe Gewässer hielten sie getrennt. Wie
gesagt, die Bildhauerei und gar die Malerei
standen nach eigener und allgemeiner Ansicht
auf weit höherer Stufe als die arme Baukunst.
Ihre erwachsenen, emanzipierten Töchter
hatten das Haus verlassen und fluksterten
auf Märkten und Straßen herum; kehrten sie
noch bei der Mutter ein, so mochte diese
nordische Erde verpflanzt, brachte sie doch
immer südliche Blüten und Früchte hervor.
Die Architektur hatte ihren letzten abgeflauten
Traditionen Valet gesagt. Parthenon und
Kölner Dom wurden die neuen freigewählten
Muster und Ideale der Baukunst. An den
Akademien fand aber nur der Klassizismus
ehrenvollen Eingang — der Gotik ward die
Tür vor der Nase zugeschlagen.
Als ich nach Berlin kam und mich an der
königlichen Bauakademie immatrikulieren ließ
— es war in der Konfliktszeit und Bismarck
noch der bestgehaßte Mann —, da leuch-