Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

DOI Artikel:
Ermers, Max: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Architekten Raffael
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0160

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Max Ermers.

war etwas Unökonomisches, Angeklebtes. Von alledem kann hier nicht die Rede sein.
Die Halle der Schule von Athen ist dem Bildwerke organisch entwachsen, mit dem
Menschenhaufen verwoben wie nur irgend zwei verwachsene Gebilde der belebten Natur.
Mit ihr steht und fällt das Kunstwerk. Schon die äußere Gliederung. Die Gruppen
der bewegtesten Konfiguration sind links und rechts unterhalb der Stufen in den Vorder-
grund gestellt und dergestalt schon von allem gesondert, was sich auf den Stufen oder
auf der oberen Plattform abspielt. Die Stufen und der auf ihnen — als einziger
Liegender — so deutlich hervortretende Diogenes samt seiner allernächsten Umgebung
bilden den Übergang nach oben. Was wir dort vorfinden, entbehrt wenigstens beim
ersten Anblick jeder Gliederung. Die isokephale Linie bringt in die Reihe der Menschen
nur Eintönigkeit, Wechsellosigkeit, Ungeordnetheit, anstatt Gliederung und Rhythmus,
wie es zur Überblickung einer solchen mehr als 30 Köpfe zählenden Masse notwendig
wäre. Der Mailänder Karton zeigt dies aufs deutlichste. Ordnung und Gesetzmäßigkeit
bringt einzig der Bau in diese Menschenmasse. Die vorderste Halle hebt die beiden
Meister (Plato und Aristoteles) samt ihren Schülern als . eine Gruppe heraus. Aus dem
Dunkel der vorderen Hallenwände heben sich die mehr teilnahmslosen Gestalten ab,
von den hinteren Hallenwänden die beiderseitig verteilten Reihen der «engeren» Schüler.
Im Lichten des letzten Tores stehen Plato und Aristoteles, die ohne dieses energische
Hilfsmittel niemals das sein könnten, was sie sind. Der Sokratesgruppe gibt der
Risalit zur Linken, der Schreibergruppe und dem sich verhüllenden Bärtigen der Risalit
zur Rechten das richtige Relief. Die nebensächlichen Gruppen links und rechts ver-
schwinden mit der verschwindenden Architektur. So hat jedes Bauglied seine kompo-
sitioneile Funktion.

Die innere Zusammengehörigkeit ist viel weniger der Analyse zugänglich. Manche
Momente können überhaupt nur mehr angedeutet, als wirklich exakt herausgearbeitet
werden. So z. B. wie die zwei dunklen Tonnen den Kontrast für die helle Masse bilden,
von der sich die zwei großen Philosophen abheben, die nun im hellen Licht noch lichter
erscheinen und nun auf einmal — ohne besonders hervorgehoben zu sein — Hoheit,
AVürde und Distanz von der Menge gewinnen; wie der Hintergrund ins Freie führt und
die beiden Philosophen sich vom Himmel abheben läßt, wie aber der letzte Himmels-
raum wieder durch den Torbogen verkleinert wird, damit die Masse der Atmosphäre
die Beiden nicht erdrücke und damit die Köpfe einen nicht zu weit gezogenen Rahmen
bekommen; wie überhaupt das dreimalige Hereinblinken des tiefblauen, sonnigen Himmels
mit seinen weißen Wolken vor dunklen Gewölben oder Säulen dem Raum und damit
der ganzen Versammlung etwas Sonnig-Festliches verleiht, wie das weite Offnen vor
der Fassade alles weiträumig und frei und groß erscheinen läßt, wie die Ruhe und
Hoheit der Architektur sich auf die hohe Versammlung überträgt usw. Kein zweites
Beispiel ist mir bekannt, wo das Einfach-Bauliche so wundervoll in rein psychische
Qualitäten umgesetzt werden würde. Dabei ist in Anbetracht der geringen Dimensionen
der Architektur, der geringen Höhe und AVeite der Tonnengewölbe die höchste Leistung
mit den kleinsten Mitteln erreicht. Ohne diese Architektur wäre die Schule von Athen
nicht das hohe Lied der antiken Größe, wie sie sich die humanistische Renaissance nie
wieder in solch eindringender Gewalt und Erhabenheit vor Augen geführt hat.

Auch anderen ist dies nicht entgangen. Die schönsten Worte über diesen Raum
und seine Wirkung haben Anton Springer und Heinrich Wolfflin gesagt. Springer
 
Annotationen