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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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1. Heft
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Boeheim, Wendelin: Vortrag des 2. Vorsitzenden, Custos Wendelin Boeheim, in der Versammlung des Vereins für historische Waffenkunde: im Vortragssaale des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie am 5. Juli 1896
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0011

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I. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

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türkischen Befehlshabers. Die Waffenkammern Al-
brechts V. und Wilhelms V. von Baiern, Augusts von
Sachsen, Karl Emanuels I. von Savoyen etc. bestanden
ausser den Gegenständen des eigenen Gebrauches nur
aus Erinnerungsstücken an heldenhafte Persönlich-
keiten oder Thaten, und die weltberühmte Samm-
lung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol in Ambras
war nur auf diese Idee hin geschaffen worden; sie
führte auch derselben entsprechend den Namen: Ar-
ni amentarium heroicum.
Allmählich erfuhr im Verlaufe des 18. Jahrhunderts
die Betrachtung der alten Waffe eine Wandlung. Die
Verehrung derselben blieb traditionell bestehen, aber
je weniger die Geschichtswissenschaft der Aneignung
des Heldenhaften zur Hülfe stehen konnte, desto mehr
regte sich die Sehnsucht, ihnen diesen Nimbus zu
erhalten. Die Beziehungen des einzelnen Stückes zur
Vergangenheit waren aus der Erinnerung der Gene-
ration nahezu völlig geschwunden; da musste die
Phantasie zu Hülfe kommen, um ihm ein kostbares
Mäntelchen umzuhängen. Der romantische Zug der
Zeit, das Sehnen nach besseren Lebensumständen,
eine dunkle Bewunderung der Kraft und Tüchtig-
keit des Menschengeschlechtes in altvergangener Zeit
kam diesem Streben entgegen; so wurden die beste-
henden Sammlungen zu Stapelplätzen von historischen
Absurditäten. Die einfachsten Waffenstücke wurden
zu Persönlichkeiten oder geschichtlichen Momenten
in Beziehungen gebracht, die uns heute die Haare
zu Berge sträuben machen, und es ist schmerzlich
zu sagen, diese monströsen Behauptungen wurden
allenthalben gläubig hingenommen, wenigstens wurde
denselben in einer der kritischen Beobachtung so
sehr ergebenen Epoche nirgends entgegengetreten.
Da wimmelte es in den Sammlungen von Da-
vidsschleudern, Goliathsschwertern, Plattenharnischen
Julius Cäsars, Theodorichs, Karls des Grossen, Li-
bussa’s und deren Gürtelmagd Vlasta u. s. w. Damit
war der kenntnisslosesten Fabulirerei Thür und Thor
sperrangelweit geöffnet, und die zeitgleiche Literatur
mit ihren Balladen und Legenden, ihren Ritter- und
Räubergeschichten trug nur noch mehr dazu bei, um
die ohnehin verwirrten Köpfe nur noch mehr zu
verdrehen.
Nun schien das einfache physische Bestehen des
mit pomphaften Namen ausgestatteten Gegenstandes
nicht mehr genügend, um die geeignet erscheinende
Wirkung zu erzielen. Der Plattenharnisch, diese
eiserne Epidermis, erschien ja ganz vorzüglich ge-
eignet, durch die ihm gegebene Pose irgend eine dra-
matische Scene darzustellen; damit war das qui pro
quo gegeben, und statt des Harnisches Alexanders des
Grossen erschien Alexander der Grosse selbst mit ge-
schnitztem oder wächsernem Angesicht, das Schwert
gegen die verzweifelnden Griechen zückend. Reiter
und Fussknechte wurden im erbittertsten Kampfe
liegend dargestellt, Turnierende schienen gegenein-
ander anzurennen. Schon am Eingänge präsentirten
sich zwei grimmige Söldner mit Helmbarten in Stel-
lungen, als wollten sie dem erschreckten Besucher

den Eintritt verwehren. Dass die Zusammenstellung
der Bewaffnung aller dieser Puppen die allerkennt-
nissloseste war, braucht nicht hervorgehoben zu wer-
den. Wie weit war in jener trüben Zeit der modernen
Romantik die kostbarste Waffensammlung von dem
simpelsten Wachsfigurencabinete noch entfernt?
Die immer mehr zunehmende Unkenntniss und
der Mangel an dem richtigen Begriffe von dem
Werthe des Gegenstandes führte zu weiteren, neben-
her bemerkt, auch ästhetischen Ungeheuerlichkeiten.
Schwerter, Säbel, Patrontaschen, ja auch Gewehre
wurden benützt, um, an die Wände genagelt, heral-
dische Bilder, Namenszüge u. dgl. darzustellen. Da
wimmelte es von Adlern und Löwen, aus Waffen zu-
sammengesetzt, und das Ganze machte Anspruch an
die Verwunderung.
Der hier beschriebene Moment bezeichnet den
tiefsten Verfall der historischen Waffenwissenschaft,
und in der That, die tolle Wirthschaft war nicht
zu überbieten. Von da bis in unsere Tage herein
machte sich eine ruhigere Auffassung und selbst eine
leichte Wendung zum Besseren merkbar, aber noch
zur Stunde steht in den Waffensammlungen das de-
corative Element vor dem fachlichen, zum Beweise,
dass das «Wie» noch immer vor dem «Was» sich
reiht. Nicht auf den Gegenstand wird die Aufmerk-
samkeit gelenkt, sondern auf die Art, wie er drapirt
und decorativ aufgestellt ist. Gerne erkennen wir
den leisen Fortschritt an, aber wir sind mit unseren
heutigen Anschauungen noch meilenweit von dem
einzig richtigen Wege entfernt. Wir werden uns erst
dann auf diesem befinden, wenn die Waffe lediglich
das Bildungsmaterial für die Geschichte, die Technik
und die Kunst und nicht mehr zum Decorations-
stück herabgewürdigt sein wird.
Die Culturmomente reihen sich nicht einfach
aneinander, die Anregungen übergreifen sich, und oft
weit vor dem Momente des tiefsten Standes regen
sich die Anzeichen einer oft epochalen Hebung. So
war es auch in der historischen Waffen Wissenschaft.
Es sind gerade hundertdreizehn Jahre her, es
war der Moment des tiefsten Standes der Kennt-
niss des Waffenwesens, als 1783 ein Foliant mit
Bildtafeln in Aquatinta - Manier unter dem Titel
«La Panoplie» erschien, mit welchen eine Anzahl
von Prunkwaffen, meist aus französischen Samm-
lungen, dargestellt waren. Eine kurze Beschreibung
kam den nicht sehr gelungenen Abbildungen erklä-
rend zu Hülfe. Der Verfasser war der feinsinnige
Aesthetiker J. B. L. Carre1), dem die Tragweite
seines Unternehmens kaum vor Augen geschwebt
hat, als er, der erste unter den Historikern, begann,
die Waffen der vergangenen Perioden zum Gegen-
stände einer ernsten Betrachtung zu machen.
Aber auch er war Kunsthistoriker und Aesthe-
tiker und nicht im Stande, seinen Gegenstand im
Hinblicke auf seine Form und seinen Gebrauch auf-

J) Eine zweite Ausgabe von Michel Carre erschien in Chä-
lons-sur-Marne 1795 im Jahre 3 der Republik.

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