Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

DOI Heft:
11. Heft
DOI Artikel:
Fachliche Notizen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0305

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

287

reichlichen Tribut gezollt, allein man kann wohl schwerlich
annehmen, dass alle diese Völker, in manchen anderen
Details ihrer eigenen Geschmacksrichtung nicht unbedeu-
tende Zugeständnisse machend, nur der bedingungslosen
Wiederholung dieser einen Verzierung unverbrüchlich treu
geblieben wären, wenn nicht andere Motive, ausser dem
stilistischen, ihren Einfluss ausgeübt hätten.
Sodann spricht gegen den rein stilistischen Ursprung
der Mitteleisen der nicht zu unterschätzende Umstand,
dass diese dornartigen Ansätze an allen denjenigen blanken
Waffen des Orients fehlen, welche, für den Gebrauch im
Handgemenge bestimmt, ein Fechten im eigentlichen Sinne
des Wortes nicht möglich machten und daher eine Schutz-
vorrichtung für die Parade feindlicher Hiebe überflüssig
erscheinen Hessen; wir finden sie weder an Messern und
Dolchen, noch an Handschar’s und Jatagan’s, obgleich
diese letzteren, bei der nicht unbedeutenden Länge ihrer
Klingen, auch zum Gebrauch als Hiebwaffen nicht übel
geeignet waren. Bei dem bereits erwähnten Conservatis-
mus der orientalischen Formengebung muss uns diese
Erscheinung stutzig machen und nach einem stichhaltigen
Grunde dafür suchen lassen, warum gerade in diesem
Fall der Schwertgriff von dem Dolch — oder Handschar-
griff abweicht. Die Verschiedenheit der Griffbildung —
das rein stilistische Motiv derselben immer vorausgesetzt
— wird um so auffallender, als manche Dolche (wir er-
innern nur an einige Arten der indischen) des Hand-
schutzes in anderer Form, z. B. als Griffbügel oder auch
kurze Parierstangen, nicht entbehren, ohne jedoch dabei
die am Schwert und Säbel unvermeidlichen Mitteleisen
aufzu weisen.
Aus dem Obigen glauben wir schliessen zu können,
dass diese Ansätze ein Zubehör der Griffe derjenigen
blanken Waffen waren, welche ein Fechten, mithin Ab-
fangen und Parieren der feindlichen Hiebe, zuliessen,
wobei der Kämpfer vorwiegend auf den Schutz angewiesen
war, welchen ihm die Defensivvorrichtungen des Griffes
seiner Waffe gewähren konnten
Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die ge-
wöhnliche Form der orientalischen Schwert- und Säbel-
griffe, so überzeugen wir uns zunächst davon, dass Griff-
bügel und Parierstange, resp. beide Parierstangen bei meist
geringem Durchmesser und häufig annähernd runden
Querschnitt nur solche Hiebe erfolgreich auf halten konnten,
welche ihre Längsaxe in einem Winkel von nicht unter
20—250 trafen, während bei einer mehr spitzwinkligen
Richtung der Hieb von den Parierstangen abgleiten und
Hand oder Arm des Streiters treffen musste. Noch un-
günstiger gestaltete sich der Fall, wenn der feindliche
Hieb nicht die Parierstangen selbst, sondern etwa die
Mitte der Klinge traf, denn sogar bei einem Aufschlags-
winkel von 450 konnte die Wucht des Hiebes während
des Hinuntergleitens zum Griffe hin die anfangs halb-
scharfe Stellung der parierenden Klinge leicht in eine
mehr und mehr flache drängen, so dass der Aufschlag
an den Parierstangen endlich vollkommen in der Längs-
richtung der letzteren erfolgte und folglich von diesen
nicht mehr aufgehalten werden konnte. Hier trat nun,
nach unserer Meinung, die praktische Bestimmung der
Mitteleisen in die Erscheinung: Dornartig, in einem Ab-
stande von 1 —11/2 cm parallel der Klinge laufend,
mussten sie unfehlbar jeden schwach parierten Hieb
zwischen sich und der eigenen Klinge festklemmen
und an der unteren Fläche der Parierstaugen unschäd-
lich machen.

Eine Bestätigung dieser Ansicht glauben wir darin
sehen zu können, dass die Mitteleisen an allen orien-
talischen Schwertern wegfallen, welche statt der Parier-
stangen einen tellerförmigen Handschutz haben (Indien,
Japan), also weggelassen werden, wo sie praktisch über-
flüssig erscheinen, während ihrer Anbringung als blosses
stilistisches Beiwerk auch hier nichts im Wege stand.
Ein weiterer Hinweis auf die angegebene Bestimmung der
Mitteleisen lässt sich auch darin erkennen, dass bei vielen,
sowohl orientalischen als auch polnischen und ungarischen
Säbeln die oberen, am Griffe anliegenden Ansätze durch
besondere Querstifte verfertigt wurden, um den unteren,
über der Klinge abstehenden Fortsätzen grössere Wider-
standskraft zu verleihen, — ein Verfahren, welches an
eine bloss decorative Beigabe wohl kaum verschwendet
worden wäre. Endlich wollen wir noch darauf hinweisen,
dass eine den Mitteleisen an praktischer Bedeutung voll-
kommen gleichwerthige Vorrichtung von unbestritten orien-
talischer Herkunft — der muschelförmige Ansatz an den
Parierstangen der venetianischen Fechtsch werter des
XIV. Jahrhunderts — ohne Bedenken als Parierknebel
angesprochen wird (vide Boeheim, Waffenkunde pag. 274).
In Europa ist diese sinnreiche und dabei einfache
Vorrichtung, Russland, Polen und Ungarn ausgenommen,
unseres Wissens nie eigentlich recht in Aufnahme ge-
kommen. Genügte im früheren Mittelalter eine oft recht
beträchtliche Verstärkung des mittleren, die Angel der
Klinge umschliessenden Theiles der Parierstange mit häufig
etwas concavem Querschnitte, um den an der Klingen-
fläche niedergehenden Hieb nicht ungebrochen auf die
Hand abspringen zu lassen, so traten sehr bald Parier-
ringe, dann Faustschutzbügel, Eselshuf und schliesslich
ein ganzes System von Spangen auf, welche der Hand —
mit nicht geringen Mitteln freilich —- ausgiebigen Schutz
sicherten. Als blosse Reminiscenz an die Mitteleisen
können noch allenfalls an spanischen und italienischen
Degen des XV. und XVI. Jahrhunderts die kleinen, von
der Mitte der Parierstangen aus beiderseits an der Klinge
fest aufliegenden, spitz zulaufenden Zungen oder Ansätze
gelten, welche nach Form und Herkunft wohl auf die
orientalischen Mitteleisen zurückzuführen sind, aber dabei
keinen anderen praktischen Zweck haben konnten, als in
den Fällen, wo die Angel nicht durch Querstifte mit dem
Griflholze verbunden, sondern nur im Knaufe festgenietet
oder -geschraubt war, die Klinge zwingenartig in ihrer
Vertikalebene festzuhalten und ein Drehen der Angel um
die eigene Achse zu verhindern.
Wir können uns endlich nicht versagen, die Auf-
merksamkeit der geneigten Leser darauf zu richten, dass
diese fast primitiv einfache und doch durchaus zweck-
entsprechende Art des Handschutzes so vollkommen dem
in allen Zweigen der orientalischen Waffentechnik be-
thätigten Grundsätze entspricht, «mit möglichst geringem
Aufwande an Material, resp. geringer Belastung des Strei-
ters möglichst vollkommene Schutzvorrichtungen zu schaf-
fen», dass man sich beinahe versucht fühlen möchte,
zur Auffindung der in dieser kurzen Betrachtung gesuchten
«unbekannten Grösse» (Zweck und Bestimmung der Mittel-
eisen) die Hülfe einer quasi mathematischen Formel durch
Aufstellung etwa folgender Reihe von Gleichungen heran-
zuziehen: Die abendländische Plattenrüstung verhält sich
zu dem orientalischen Maschenpanzer wie der schwere
Ritterhelm zu dem conischen Schischak, wie das Visier
zu dem Naseneisen, wie der Spangenkorb — zu den
Parierstangen der Mitteleisen!
 
Annotationen