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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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12. Heft
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Forrer, Robert: Nochmals "Glefe oder Gertel - Waffe oder Werkzeug?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0325
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12. Heft.

Zeitschrift für historische YVaffenkunde.

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Nochmals «Glefe oder Gertei — Waffe oder Werkzeug?»
Von R. Forrer in Strassburg.

Erlauben Sie mir, auf die Frage ob «Glefe
oder Gertei—Waffe oder Werkzeug?», welche Herr
Major Bleuler in Heft 11 dieses Bandes stellt, zu-
rückzukommen, weil die dort vorgebrachten Argu-
mente mehrfach anfechtbar sind und die angeregte
Frage immerhin von Interesse ist. Eine Wider-
legung der Blculer’schen Ausführungen ist insofern
gerade durch diese selbst wesentlich erleichtert,
als Herr Bleuler auf Seite 285 genau das selbst
widerlegt, was er Seite 283 und 284 zuvor
«bewiesen» zu haben glaubt! Bleuler führt näm-
lich aus, dass jene sichel- oder, um seinen Ausdruck
zu gebrauchen, gerteiartigen Geräthe aus mero-
vineischer Zeit keine Waffen sein könnten, son-
dern einfache Gertei sein müssten, bringt dann di-
verse solche Geräthe, welche er als Gertei in An-
spruch nimmt, in Abbildung und — schliesst
damit, dass er gleiche Geräthe selbst als
Waffe bezeichnet. Dieser Widerspruch dürfte
auch Ihren Lesern aufgefallen sein und auch ihnen
den Gedanken beigebracht haben, dass diese Frage
durchaus nicht so spielend gelöst werden kann, wie
dies der erste Theil des Bleuler’schen Artikels ver-
muthen lässt.
Schon das erste Argument Blculer’s steht auf
schwachen Füssen, indem er das Gewicht von
750 gr. für eine Waffe zu gering findet. Wer sich
ernstlich mit Gewichtsfragen beschäftigt hat, wird
finden, dass dies Gewicht für jene Zeit genau das
Gewicht ist, welches man von einer solchen Waffe
damals verlangte. Mit den Waffengewichten der
Renaissancezeit dürfen jene der Franken- und Mero-
vingerzeit nicht verglichen werden, denn erstere hatten
mit Panzerplatten zu rechnen, wie sie dem Früh-
mittelalter fehlten. Sind also die Eisen der Stangen-
waffen des 15. und 16. Jahrhunderts wesentlich
schwerer als jene des Frühmittelalters, so schliesst
das geringere Gewicht der letzteren den Waffen-
charakter doch keineswegs aus. In der That ent-
spricht das Gewicht von 750 gr. durchaus dem, was
man für Hiebwaffen jener Zeit verlangen darf. Ich
habe schon vor längerer Zeit den Gewichten solcher
Waffen mein Augenmerk geschenkt und zahlreiche
Wägungen vorgenommen. Die Gewichte sind für
den Waffenforscher von nicht geringem Werthe und
sollten mehr als bisher Beachtung finden. Der prak-
tische Werth solcher Wägungen ergiebt sich gerade
im vorliegenden Falle: Die von mir festgestellten
Gewichte (auf welche ich vielleicht später zu sprechen
komme) ergaben für die Kampf- und Wurfbeile der
Franken und Merovinger, für die sogenannte Fran-
cis ca, ein Durchschnittsgewicht von circa 600 gr.
(Ein Exemplar meiner Sammlung, aus einem Fran-
kengrabe vor Andernach stammend, wiegt circa

550 gr.) Bedenken wir nun, dass diese Francisca-
beile auf relativ kurzem Schafte sassen, also nach
den Gesetzen der Schwere ein relativ höheres Ge-
wicht verlangten, als langgeschäftete Beile, so er-
scheint das Gewicht von 750 gr. der angezweifelten
Gerteiwaffe nicht nur als genügend, sondern sogar
als recht ansehnlich! Das geht auch daraus her-
vor, dass andere Stangenstreitbeile, welche dem wei-
tern Mittelalter angehören, also einer Zeit, in der die
Panzerung sich vervollständigte und schwerer wurde,
dieselben Gewichte wie diese Gerteiwaffe aufweisen.
Das Gewicht spricht also im fraglichen Falle
nicht nur nicht gegen, sondern sogar für den Waffen-
charakter jenes merovingischen Gerteifundstückes.
Beiläufig möchte ich auch einen andern Irrthum
widerlegen, der in dem Vorwurfe steckt, als wäre
jener Gertei zu leicht, nicht wuchtig genug für
eine Waffe, wohl aber gerade recht für ein Werk-
zeug. Diesen Einwand hört man hie und da bei
alten Waffen, allein er ist unberechtigt, denn wer
nur einigermassen die Waffengeschichte studiert hat,
wird finden, dass im allgemeinen die Waffe leich-
ter, das Werkzeug aber schwerer an Gewicht
ist. Man vergleiche z. B. die Gewichte der Streit-
beile und Streithämmer mit denen von (natürlich
gleichzeitigen) Werkbeilen. Was dem Streitbeil
an Gewicht abgieng, musste die grössere
Länge des Schaftes ersetzen: die «Wucht» des
Hiebes wurde dadurch gewaltig verstärkt. Das gilt
auch für die fragliche Gerteiwaffe.
Auch das zweite Argument Bleuler’s hat wenig
Boden: Nur ein verhältnissmässig geringer
Theil des Umfanges jenes Gerteis sei scharf;
Dem gegenüber könnte ich auf Helmbarten und
andere Waffen hinweisen, welche gleich wenig
«Schneide» (und keine Spitze) besitzen, allein es
genügt ja, auf Bleuler’s Fig. 6 «Haibartengertei» im
Museum zu Zürich hinzuweisen, wo das Schnei-
denverhältniss relativ genau das gleiche ist.
Wollte ich scharf in’s Gericht gehen, so könnte ich
sogar anführen, dass bei der merovingischen Gertei-
waffe von der Klinge zehn Eilftel auf die gerade
Schneide entfallen, bei der Gerteihelmbarte Bleuler’s
aber bloss drei Viertel!
Als drittes Argument, das gegen den Waffen-
charakter spreche, gilt Bleuler der abgerundete
Haken am Rücken des Gerteis. Nun giebt es ja
zahlreiche Waffen, welche solche Flaken tragen,
ohne dass es bis jetzt jemandem eingefallen wäre,
deshalb diese Waffen als Waffen zu bestreiten. Ich
erinnere nur an Boeheim, Fig. 396 und 397a, doch
liesse sich diese Liste unendlich vermehren. Der
Haken an und für sich spricht also nicht gegen
den Waffencharakter. Bleuler wirft deshalb in die

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