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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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12. Heft
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Reimer, Paul: Vom Schwarzpulver
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0396

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Vom Schwarzpulver1
Von Paul Reimer, Hauptmann bei der Königl, Geschofsfabrik Siegburg

Mit der Frage der Erfindung des Schiefs-
pulvers haben sich bereits zahlreiche
Werke beschäftigt, ohne aber Tatsachen
vor führen zu können, welche über Zeit
und nähere Umstände dieser kulturgeschichtlich
so überaus wichtigen Erfindung Klarheit schaffen.
Mir scheinen derartige Fragen angesichts der
hohen Bedeutung, welche die Erfindung des
Schiefspulvers als Markstein in der Entwickelungs-
geschichte der Menschheit hat, nebensächlicher
Natur zu sein. Viel wichtiger erscheint es mir,
das eigentliche Wesen dieses Fortschritts fest-
zustellen und ihn einzureihen in die verschiedenen
Entwickelungsstufen, welche die Menschheit von
ihrem Urzustände bis zum heutigen Stande der
Kultur durchgemacht hat.
Zweifellos stellt das Schiefspulver eine unserer
erheblichsten Energiequellen dar, und zwar eine
solche, welche fertig zum Gebrauch vorhanden
ist und jederzeit der Energieentnahme harrt. Es
ist in dem Schiefspulver also Energie auf-
gespeichert. Die Kinematik, die Lehre von der
zwangläufigenBewegung, kennt derartigeEnergie-
ansammlungen unter dem Ausdruck der „Spann-
werke“. Jede mit einem schweren, emporgewun-
denen Körper belastete und durch eine Sperr-
klinke am Zurücklaufen gehinderte Winde ist ein
solches Spannwerk. In den durch hydraulischen
Druck betätigten Gewichtsakkumulatoren, den
Stauweihern und Talsperren, sowie den elektri-
schen Akkumulatoren tritt uns dasselbe Prinzip
in veränderter Gestalt entgegen und erfreut sich
in neuester Zeit der ausgedehntesten Anwendung.
Ja, man kann sagen, dafs die Entwickelung der
menschlichen Kultur geradezu durch die immer

fl Erweiterte Bearbeitung eines im Jahre 1902 vor der
„Gesellschaft für Heereskunde“ in Berlin gehaltenen Vor-
trages.

vermehrte Anwendung der Kraftspeicher bedingt
ist. Der Wilde erzeugt vermöge seiner Muskel-
kraft durch Reiben von Holzstückchen Feuer,
unsere Altvorderen rissen mit dem Feuerstein
feine Splitter vom Stahl ab, welche, durch diesen
mechanischen Vorgang bis zur Weifsglut erhitzt,
auf dem leichter brennbaren Zündschwamm den
chemischen Vorgang der Verbrennung auslösten,
und unsere modernen Zündhölzer gehen in der
Hintereinanderschaltung noch mehrerer Spann-
werke bis zur Entflammung des Holzes sogar
erheblich weiter. In übertragenem Sinne kann
man sogar von geistigen Energiesammlern
sprechen. Als einen solchen nehme ich z. B. die
Buchdruckerkunst in Anspruch, welche gestattet,
die Arbeit einzelner mit hoher geistiger Energie
ausgestatteter Menschen aufzuspeichern, sodafs sie
an der jeweils gebrauchten Stelle später nutzbar
verwendet werden kann.
Die einzige Energiequelle des Urmenschen
war die Muskelkraft, der Mensch stand hier mit
der Arbeitsweise des Tieres auf einer Stufe. Auch
die Muskeln sind Spannwerke und noch dazu
solche von aufserordentlich feiner Regulierbar-
keit, indessen ist ihr Energievorrat recht bald
erschöpft und auch der Auslösungsmechanismus
in Gestalt der Nerven bedarf in kurzen Pausen
durch Schlaf der Regenerierung. Die Überlegen-
heit des Menschen über das Tier hob sich in dem
Mafse, als der Mensch den Ablauf dieser ihm
verliehenen Spannwerke nach logischen Gesichts-
punkten anwenden und kombinieren lernte. Die
Riesendenkmäler Ägyptens sind Beispiele dafür,
bis zu welchen Kraftleistungen das durch staat-
liche Einrichtungen gewährleistete Zusammen-
arbeiten sehr vieler dieser kleinen Spannwerke
zu einem Zweck getrieben werden kann. Bald
lernte auch der Mensch den Machtbereich seines
durch Muskelkraft bewegten Armes vergröfsern,
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