WITTKOWER: ARCHITECTURAL PRINCIPLES
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C. Entwicklung der Marsvorstellung. Loslösung von der anthropomorphistischen
Auffassung [.] Bild -- harmonikales System -- Zeichen.24
Innerhalb des Versuchs, die Repräsentation antiker Ausdruckswerte in der
europäischen Renaissance zu verfolgen, dienen Warburgs einleitende Tafeln
jener Orientierung, in der die Stellung des menschlichen Individuums bestimmt
wird. In diesem Sinne begreift er seinen Atlas als den »Versuch einer
Psychologie der menschlichen Orientierung auf universell bildgeschichtlicher
Grundlage«.25 Hierbei sind »Bild und Zahl als polare antichaotische Funktion
des Gedächtnisses im Geschäfte der Orientierung«26 und der Bilderatlas sowie
die »Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg« als die Instrumente des
Historikers zu verstehen. So erklärt Warburg selbst im August 1929 vor dem
Kuratorium der Bibliothek:
Sie [d.i. die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg] bedeutet in dem noch
ungeschriebenen Handbuch der Selbsterziehung des Menschengeschlechts ein
Kapitel, das den Titel haben könnte: »Von der mythisch-fürchtenden zur
wissenschaftlich-errechnenden Orientierung des Menschen sich selbst und dem
Kosmos gegenüber.«27
Im »Geschäfte der Orientierung« demonstriert die erste Tafel (A) die
Einbindung des Menschen in Himmel, Erde und Genealogie, wobei gleichzeitig
auf die Bedeutung und Verbreitung kultureller Formen und Inhalte hingewiesen
wird. Dann (B) deutet Warburg an, wie sich der Mensch zu den Zusam-
menhängen des Kosmos zu verhalten versucht, nämlich magisch-anthropo-
morphistisch einerseits und rational-geometrisch andererseits. Im letzten der
drei einleitenden Schaubilder (C) schließlich verbildlicht er sowohl die mar-
sianisch-magische Aneignung des Weltraums als auch seine Eroberung durch
die beobachtende Wissenschaft (Kepler) und die technisch fortgeschrittene
Luftfahrt (Zeppelin).
3. Die »Praxis der Symbolsetzung«
Warburgs Vorgehen in den einleitenden Tafeln seines Bilderatlas ist nicht
historisch und analytisch, sondern interpretativ; Bilder und die Art ihrer Zusam-
menstellung stehen symbolisch für die einesteils magische und andernteils ra-
tionale Orientierung des Menschen in verschiedenen kulturellen Zusam-
menhängen, um deren Darstellung es in dem unvollendeten Projekt ging. Die
ersten Schaubilder dienen einem generellen, symbolischen Verständnis von
Geschichte oder, wie Warburg sich ausdrückte, der »Erkenntnistheorie und
Praxis der Symbolsetzung.«28 Warburg geht über den Standpunkt des nur
registrierenden Historikers hinaus und versucht, durch seine Bilderreihen
Sinnbezüge für sich selbst und für den Betrachter herzustellen. Symbole und
Zeichen sind dabei nicht nur Gegenstände oder bloße Artefakte des Kultur-
24 »Grüne Mappe«, ebd., S.2.
25 Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Tagebuch, Bd.9, 1929 (11.10.1929), S.69.
26 Ebd., S.57 (6.10.1929).
27 Zitiert nach WARBURG, Schriften und Würdigungen, Ed.Wuttke, S.307-309, S.307.
28 Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Tagebuch, Bd.9, 1929 (20.10.1929), S.83.
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C. Entwicklung der Marsvorstellung. Loslösung von der anthropomorphistischen
Auffassung [.] Bild -- harmonikales System -- Zeichen.24
Innerhalb des Versuchs, die Repräsentation antiker Ausdruckswerte in der
europäischen Renaissance zu verfolgen, dienen Warburgs einleitende Tafeln
jener Orientierung, in der die Stellung des menschlichen Individuums bestimmt
wird. In diesem Sinne begreift er seinen Atlas als den »Versuch einer
Psychologie der menschlichen Orientierung auf universell bildgeschichtlicher
Grundlage«.25 Hierbei sind »Bild und Zahl als polare antichaotische Funktion
des Gedächtnisses im Geschäfte der Orientierung«26 und der Bilderatlas sowie
die »Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg« als die Instrumente des
Historikers zu verstehen. So erklärt Warburg selbst im August 1929 vor dem
Kuratorium der Bibliothek:
Sie [d.i. die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg] bedeutet in dem noch
ungeschriebenen Handbuch der Selbsterziehung des Menschengeschlechts ein
Kapitel, das den Titel haben könnte: »Von der mythisch-fürchtenden zur
wissenschaftlich-errechnenden Orientierung des Menschen sich selbst und dem
Kosmos gegenüber.«27
Im »Geschäfte der Orientierung« demonstriert die erste Tafel (A) die
Einbindung des Menschen in Himmel, Erde und Genealogie, wobei gleichzeitig
auf die Bedeutung und Verbreitung kultureller Formen und Inhalte hingewiesen
wird. Dann (B) deutet Warburg an, wie sich der Mensch zu den Zusam-
menhängen des Kosmos zu verhalten versucht, nämlich magisch-anthropo-
morphistisch einerseits und rational-geometrisch andererseits. Im letzten der
drei einleitenden Schaubilder (C) schließlich verbildlicht er sowohl die mar-
sianisch-magische Aneignung des Weltraums als auch seine Eroberung durch
die beobachtende Wissenschaft (Kepler) und die technisch fortgeschrittene
Luftfahrt (Zeppelin).
3. Die »Praxis der Symbolsetzung«
Warburgs Vorgehen in den einleitenden Tafeln seines Bilderatlas ist nicht
historisch und analytisch, sondern interpretativ; Bilder und die Art ihrer Zusam-
menstellung stehen symbolisch für die einesteils magische und andernteils ra-
tionale Orientierung des Menschen in verschiedenen kulturellen Zusam-
menhängen, um deren Darstellung es in dem unvollendeten Projekt ging. Die
ersten Schaubilder dienen einem generellen, symbolischen Verständnis von
Geschichte oder, wie Warburg sich ausdrückte, der »Erkenntnistheorie und
Praxis der Symbolsetzung.«28 Warburg geht über den Standpunkt des nur
registrierenden Historikers hinaus und versucht, durch seine Bilderreihen
Sinnbezüge für sich selbst und für den Betrachter herzustellen. Symbole und
Zeichen sind dabei nicht nur Gegenstände oder bloße Artefakte des Kultur-
24 »Grüne Mappe«, ebd., S.2.
25 Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Tagebuch, Bd.9, 1929 (11.10.1929), S.69.
26 Ebd., S.57 (6.10.1929).
27 Zitiert nach WARBURG, Schriften und Würdigungen, Ed.Wuttke, S.307-309, S.307.
28 Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Tagebuch, Bd.9, 1929 (20.10.1929), S.83.